Wenn die Nacht dich kuesst...
ein kleines Dorf in der Nähe ihres Landsitzes erwähnte.
»Ich war es nicht«, entgegnete Julian halb im Scherz. »Mir hat Schaf noch nie geschmeckt.« Er wandte den Blick ab, aber nicht ehe Adrian den Schatten des Zweifels darin entdeckte. »Ich weiß, wie schwierig das hier für dich sein muss. Aber du gibst mich nicht auf, nicht wahr?«, fragte er, um einen leichten Tonfall bemüht, damit er nicht merkte, was es ihn kostete, diese Frage zu stellen.
Adrian durchquerte die Halle und ging zur Treppe. Auch wenn sein erster Impuls war, seinem Bruder die dunklen Locken zu zausen, legte er ihm nur eine Hand auf die Schulter und drückte sie sanft, bis Julian ihn anschaute. »Ich werde dich niemals aufgeben, Julian. Nicht dich. Und Gott möge dem beistehen, der sich mir in den Weg zu stellen versucht.«
Julian hob eine Augenbraue. »Miss Caroline Cabot eingeschlossen?«
Adrian ließ sich nicht anmerken, wie sehr er seine Antwort bedauerte: » Besonders Miss Caroline Cabot.«
9
Regen prasselte gegen die Fensterscheiben der Kutsche, verwischte alles außer Carolines nachdenklichem Spiegelbild. Sie strengte ihre Augen an, um wenigstens einen flüchtigen Blick auf die vorüberziehende Landschaft Wiltshires werfen zu können, aber vergebens. Was der Regen nicht verhüllte, verbarg die Nacht.
Blitze zuckten grell, überfluteten die Landschaft mit übernatürlichem Licht, blendeten Carolines unvorbereitete Augen. Einen erschreckten Augenblick lang hätte sie schwören können, eine unförmige Gestalt neben der Kutsche reiten gesehen zu haben. Dann hüllte Dunkelheit wieder alles ein, ließ sie mit ihrem entsetzten Spiegelbild allein.
Beunruhigt zog sie die Mahagoni-Läden vor das Fenster und lehnte sich in die Polster aus Saffianleder zurück. Die elegante Kutsche des Viscounts roch nicht nach billigem Parfum oder abgestandenem Zigarrenrauch, sondern nach Leder, Lorbeer und irgendwie männlich. Die glänzenden Messingbeschläge und die kugelförmigen Milchglaslampen der Kutsche vervollständigten die zurückhaltende Eleganz der Ausstattung.
Portia lag zusammengerollt auf dem Sitz ihr gegenüber, ihren Kopf an Viviennes Schulter. Das Klopfen der stetig auf das Dach fallenden Regentropfen und das leichte Schaukeln der gut gefederten Kutsche hatten sie in den Schlaf gewiegt.
Wenigstens hatten es ihre Schwestern und sie warm und trocken. Caroline konnte sich gut vorstellen, wie unangenehm es für die Vorreiter und den Kutscher sein musste. Seit die Kutsche des Viscounts heute am frühen Nachmittag vor Tante Mariettas Haus vorgefahren war, um sie abzuholen, hatte es unaufhörlich geregnet. Zu Viviennes Enttäuschung und Carolines Erleichterung war Kane einen Tag früher nach Wiltshire aufgebrochen, um die Dienerschaft von ihrer Ankunft zu unterrichten.
Sie hatten zweimal angehalten, um die Pferde zu wechseln, und waren einmal durch knöcheltiefen Schlamm auf dem Hof einer Poststation gewatet, um sich vor einem rauchenden Kaminfeuer mit einer Tasse Tee aufzuwärmen. Wenn sie in diesem Tempo weiterreisten, würden sie auf Trevelyan Castle vermutlich nicht vor Mitternacht eintreffen.
Vielleicht hatte ihr Gastgeber das so geplant.
Caroline schüttelte die alberne Vorstellung ab. Adrian Kane mochte aus jeder Pore Autorität verströmen, aber sicherlich reichte sein Einfluss nicht aus, auch das Wetter zu bestimmen.
Sie schaute zu Vivienne, die geduldig im fahlen Licht der Kutschenlampe an einem Mustertuch stickte. Das war vielleicht ihre einzige Gelegenheit herauszufinden, inwieweit Kane das Herz ihrer Schwester erobert hatte. Portias Mund stand offen, und ihr gleichmäßiger Atem ging in ein leises Schnarchen über.
»Du musst dich auf unseren Besuch und den Ball des Viscounts sehr freuen«, begann Caroline zögernd.
»0 ja, sehr.« Vivienne zog die Nadel durch den Stoff, ohne sich die Mühe zu machen aufzublicken.
Carolines Ausatmen endete in einem Seufzen. Vivienne Informationen zu entlocken konnte so schwierig sein wie zu versuchen, Portia davon abzuhalten, mit allem herauszuplatzen, was ihr gerade durch den Sinn ging. »Lord Trevelyan scheint sehr von dir angetan zu sein.«
Ein bescheidenes Lächeln kräuselte die Lippen ihrer Schwester. »Dann kann ich mich glücklich schätzen, nicht wahr? Er ist alles, was sich ein Mädchen von einem Verehrer wünschen sollte — höflich, intelligent, gebildet und gut.«
Und ein wunderbarer Küsser.
Caroline biss sich auf die Lippe, wurde von Gewissensbissen geplagt, als sie
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