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Wenn die Nacht dich kuesst...

Wenn die Nacht dich kuesst...

Titel: Wenn die Nacht dich kuesst... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Teresa Medeiros
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hielt sie die Kerze dichter vor das Gemälde. Der Mann darauf trug einen mitternachtsblauen Rock mit ausgestellten, goldbestickten Schößen. Üppige Spitze bauschte sich um seinen sehnigen Hals und seine kräftigen Handgelenke. Er trug Kniebundhosen und Strumpfhalter. Seine Füße steckten in schwarzen Schnallenschuhen — ein Stil, der vor mehr als einer Generation außer Mode gekommen war.
    Vielleicht war er von einem dieser exzentrischen Künstler gemalt worden, die sich darauf verlegten, die Menschen, die ihnen Modell saßen, in der Kleidung vergangener Zeiten darzustellen. Noch vor einem Jahrzehnt war alles Griechische der letzte Schrei gewesen, was zu einer erschreckenden Zahl von Familienportraits mit plumpen, in Togen gekleideten Matronen geführt hatte, die vor geflügelten Zentauren flohen, die ihren gichtgeplagten Ehemännern verdächtig ähnlich sahen.
    Mit einem letzten sehnsüchtigen Blick auf das Gemälde ging Caroline langsam zum nächsten Bild. Vor Verwunderung blieb ihr der Mund offen stehen. Es war wieder Kane, diesmal mit einem Federhut, elisabethanischer Halskrause und einem weiten Umhang angetan, der von seinen breiten Schultern hing. Sein Haar fiel ihm auf die Schultern, und sein gezwirbelter Schnurrbart und das elegante Ziegenbärtchen ließen ihn noch teuflischer als sonst erscheinen. Sie hätte ihren Augen nicht getraut, wären nicht der leicht spöttisch lächelnde Mund gewesen und der kühn gehobene Kopf.
    Zu ihrem Entsetzen enthielt der nächste Rahmen wieder ein Abbild von Kane. In diesem grinste er selbstsicher und war mit einem kurzen fellbesetzten Wams bekleidet und einem Paar eng anliegender dunkelgrüner Beinkleider. Caroline schaute fort, versuchte nicht zu bemerken, wie gut er die Hose ausfüllte.
    »Er muss eine Schamkapsel tragen«, sagte sie leise zu sich.
    Über sich selbst verwundert schüttelte sie den Kopf, hob ihre Kerze und betrachtete das nächste Bild. Ihr stockte der Atem. Ein Krieger in voller Rüstung ragte vor ihr auf, ein schimmerndes Breitschwert in der Faust. Die rostroten Flecken auf der Klinge waren nicht zu verwechseln — alles, was von dem letzten Menschen übrig war, der Narr genug gewesen war, zwischen diesem Mann und dem, was er wollte, zu stehen.
    Ohne einen Muskel bewegen zu müssen, wirkte er einschüchternd, und sein Blick aus halb geschlossenen Augen schien die Welt herauszufordern, sich ihm in den Weg zu stellen. Dies war ein Kane ohne die dünne Lackschicht von Höflichkeit und Zivilisiertheit, die ihm die Gesellschaft auferlegte. Dies war der Mann, den Caroline in Vauxhall Gardens gesehen hatte. Der Mann, der ihre Peiniger abgewehrt hatte, ohne auch nur ins Schwitzen zu kommen. Seine unverhohlene Männlichkeit war sowohl furchteinflößend als auch unwiderstehlich.
    Ein wilder Hunger glitzerte in seinen Augen — ein Appetit auf das Leben, der sich nicht verleugnen ließ. Sie erkannte diesen Hunger wieder, weil sie ihn am eigenen Leib erfahren hatte, als er sie auf dem Lover's Walk an sich gepresst hatte. Sie hatte ihn in seinem Kuss geschmeckt, als er ihren Mund leidenschaftlich erkundete und seine Zunge sie kühn für sich gefordert, von ihr verlangt hatte, dass sie sich ihm ergab — was sie nur zu gern getan hätte. Sie streckte die Hand aus und fuhr mit dem Finger leicht über seine Wange, fragte sich, ob es möglich wäre, mit einer Berührung allein ein so wildes Geschöpf zu zähmen.
    Trotz der gedämpften Farben und der rissigen Oberfläche sah er aus, als könnte er jeden Moment aus dem Rahmen treten und sie in seine Arme reißen.
    Was der Grund war, weshalb Caroline kaum erschrak, als seine Stimme aus dem Dunkel hinter ihr erklang: »Eine bemerkenswerte Ähnlichkeit, nicht wahr?«

11
    Caroline riss ihre Hand zurück, als hätte sie sich an dem Gemälde die Finger verbrannt, dann drehte sie sich langsam um. Kane lehnte hinter ihr an der Wand, die Arme vor der Brust verschränkt. Dieses Mal konnte sie ihm kaum vorwerfen, er habe sich von hinten an sie herangeschlichen. Sie war so in die Betrachtung des Bildes versunken gewesen, dass sie bezweifelte, sie hätte ein Regiment mit Dudelsackpfeifern in die Galerie kommen hören.
    Er war wieder als Gentleman verkleidet. Zwar trug er keinen Rock, aber seine Weste aus burgunderrot und golden gestreifter Seide war zugeknöpft. In dem tiefen Ausschnitt war nur seine bestickte weiße Hemdbrust zu sehen. Der gestärkte Flügelkragen und das ordentlich gebundene Halstuch sorgten dafür, dass sie

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