Wenn die Nacht dich kuesst...
er rechtzeitig erschienen war, aber stattdessen wollte er ihn am liebsten erwürgen. Es war kaum das erste Mal, dass er seinem kleinen Bruder an die Kehle wollte. Und vermutlich würde es auch nicht das letzte Mal sein.
Caroline versteifte sich in seinen Armen. Sie war nicht länger weich und anschmiegsam, sondern ganz steif vor Argwohn, und ihr Mund war fest zusammengepresst. Es war schwer zu glauben, dass erst Sekunden zuvor diese Lippen einladend geöffnet waren, feucht schimmerten und wortlos um seinen Kuss baten.
Als sie ohne Zögern in seine Arme gekommen war, war es beinahe sein Untergang gewesen. Ihr völlig unverdientes Vertrauen hatte einen Hunger in ihm entfesselt, der tiefer ging als bloßes Verlangen. Ich kümmere mich um Sie , hatte er gesagt. Diese harmlosen Worte, so achtlos ausgesprochen, hatten ihm deutlich vor Augen geführt, wie ausgeschlossen es war, dass er dieses Versprechen hielt. Der Geist der letzten Frau, die närrisch genug gewesen war, ihm zu glauben, verfolgte ihn bis heute.
Mit wenigen Schritten war er bei seinem Bruder und entwand ihm den Kerzenleuchter. »Du kommst wieder genau im rechten Moment. Ich fürchte, Miss Cabot ist das unschuldige Opfer meiner Tollpatschigkeit geworden. Ich habe unsere einzige Kerze fallen lassen.«
»Wie tragisch«, erwiderte Julian mit einem spöttischen Lächeln auf den Lippen. »Mich schaudert, wenn ich mir vorstelle, was hätte geschehen können, wäre ich nicht zufällig des Weges gekommen.«
»Mich auch«, erklärte Konstabler Larkin und tauchte aus den Schatten hinter Julian auf.
Adrian starrte Larkin ungläubig an, dann drehte er sich um und blickte finster zu seinem Bruder. »Was, zum Teufel, tut er hier?«
Julian kreuzte seine langen Beine an den Knöcheln und seufzte. »Wenn du es unbedingt wissen willst, ich habe ihn eingeladen.«
Kane war sich nur allzu deutlich bewusst, dass Caroline dicht hinter ihm stand, und bemühte sich um gerade genug Selbstbeherrschung, um nicht zu brüllen. »Du hast was?«
»Sei nicht zu streng mit deinem Bruder.« Larkins Lächeln war betont freundlich. »Ich habe ihn vor die Wahl gestellt. Entweder komme ich mit ihm nach Wiltshire, oder er kommt mit mir nach ... nach Newgate.«
»Unter welcher Anklage ?«
Larkin schüttelte traurig den Kopf. »Ich fürchte, hohe Spieleinsätze und leere Taschen passen nicht gut zusammen. Dein Bruder hat seit eurer Rückkehr ganz schön die Runde in den verschiedensten Spielhöllen und unter den Damen gemacht. Er hatte offenbar vor, London den Rücken zu kehren und einen dicken Packen unbezahlter Schuldscheine, eine Reihe gebrochener Herzen und mehrere wütende Herren zurückzulassen, die ihm vorwerfen, Geld an sie verloren, im Gegenzug aber die Herzen ihrer Verlobten gewonnen zu haben.«
Adrian fuhr zu Julian herum. »Habe ich dich nicht davor gewarnt? Du weißt doch, du hast keinen Kopf für Karten oder Frauen, wenn du getrunken hast.« Er schüttelte den Kopf und bekämpfte den Drang, sich die Haare zu raufen — oder Julians. »Ich habe dir doch erst vergangene Woche zweihundert Pfund gegeben. Was, zum Teufel, hast du damit getan?«
Julian senkte verlegen den Kopf und beschäftigte sich angelegentlich damit, eine eingebildete Falte aus seinen französischen Rockaufschlägen zu streichen. »Ich habe meine Schneiderrechnung bezahlt.«
Adrian hatte gewusst, dass er seinen Bruder eines Tages wieder würde erwürgen wollen. Er hatte nur nicht geahnt, dass es so bald sein würde. Oder dass er es mit Julians teurer Seidenkrawatte tun wollte. »Warum bist du nicht zu mir gekommen, als dir auffiel, dass du bis zum Hals in der Klemme steckst? Ich hätte zwar nicht die gebrochenen Herzen heilen können, aber ich hätte dir das Geld gegeben, deine Schulden zu bezahlen.«
Julian hob den Kopf. Die Bitterkeit in seinen seelenvollen dunklen Augen war nicht zu übersehen. »Ich schulde dir bereits mehr, als ich je zurückzahlen kann.«
Adrian spürte Larkins scharfen Blick wie einen Dolch an seiner Kehle. Er fuhr sich mit einer Hand durchs Haar und schluckte seine Erwiderung und seinen Stolz hinunter.
Larkin hatte den Riss in Adrians Schutzpanzer entdeckt und nutzte seinen Vorteil. »Als ich hörte, dass du die reizenden Cabot-Schwestern auf einen Besuch nach Trevelyan Castle und zu eurem Maskenball eingeladen hast, habe ich nicht eingesehen, was dagegen spräche, wenn ich deiner kleinen Hausgesellschaft beiwohne. Schließlich habe ich jahrelang während unserer Zeit in Oxford
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