Wenn die Nacht dich kuesst...
keinen Blick auf das drahtige Haar erhaschen konnte, das seine Brust bedeckte. Sie fragte sich, wie lange er hier wohl schon stand und sie beobachtete. Fragte sich, ob er gesehen hatte, wie sie den wilden Krieger auf dem Portrait berührt hatte, so wie sie ihn zu berühren nie das Recht besäße.
»Eine bemerkenswerte Übereinstimmung , meinen Sie wohl, Mylord«, erwiderte sie und nickte in Richtung des finsteren Ritters. »Ich habe gerade die Pinselführung bewundert. Ich kann mir nur schwer vorstellen, wo Sie einen derart talentierten Künstler gefunden haben. Der Mann steht Gainsborough oder Reynolds in nichts nach.«
Kane richtete sich auf, und seine mühelose Anmut erinnerte sie daran, dass kein Künstler — gleichgültig wie talentiert — jemals seine unbändige Lebenskraft einfangen könnte. »Ich fürchte, der Künstler ist lange tot. So wie sein Modell auch. Dieses Bild ist alles, was von beiden übrig ist.«
Als er näher zu ihr trat, versuchte Caroline seinem durchdringenden Blick zu entkommen, indem sie sich wieder dem Bild zuwandte. »Das verstehe ich nicht. Sind nicht Sie das?« Sie deutete auf die Wand. »Ich dachte, das hier seien alles Sie.«
»Sie dachten, ich hätte mehrere Portraits von mir selbst in Auftrag gegeben, die mich in unterschiedlichsten Kostümen aus längst vergangenen Zeiten zeigen?« Unter seinem heiseren Lachen bewegten sich die feinen Härchen in ihrem Nacken. »Ich kann Ihnen versichern, Miss Cabot, auch wenn ich ein Mann mit vielen Lastern bin, Eitelkeit zählt nicht dazu.«
Sie zuckte die Achseln und überlegte, welche Laster er wohl haben mochte. »Die einen würden es eitel nennen, die anderen dagegen sehen darin schlicht den Wunsch nach Unsterblichkeit.«
Obwohl er hinter ihr stand, konnte sie sein plötzliches Erstarren spüren. »Nicht jeder ist willens, den Preis der Unsterblichkeit zu zahlen. Es kann ein sehr teurer und dazu zweifelhafter Segen sein.«
Er fasste um sie herum und nahm ihr sanft die Kerze aus der Hand. Dann hielt er die Flamme vor die kleine Messingplatte am unteren Rand des Rahmens. Caroline nahm seine unausgesprochene Einladung an und beugte sich vor. Sie musste die Augen zusammenkneifen, um die Schrift zu entziffern.
»1395«, flüsterte sie, richtete sich langsam wieder auf und drehte sich erstaunt zu ihm um.
Er deutete auf das Bild. »Erlauben Sie mir, Ihnen Sir Robert Kane vorzustellen, Miss Cabot. Er hat diese Burg 1393 erbaut, nachdem er eine erkleckliche Zahl französischer Köpfe im Hundertjährigen Krieg abgeschlagen hatte. Geschickterweise hat er darauf verzichtet, ein Burgrecht von König Richard II. einzuholen, ihm wurde aber trotzdem kurz darauf verziehen. Ich fürchte, wir Kanes waren immer schon besser darin, hinterher um Vergebung zu bitten, statt vorher um Erlaubnis zu fragen. Das ist auch der Grund, weshalb die meisten der Männer an dieser Wand gemeinhin für Schufte oder Schurken gehalten werden.« So wie ich auch. Obwohl die Worte nicht ausgesprochen wurden, hingen sie fast hörbar in der Luft.
Caroline warf einen Blick zu den stählernen Augen des Ritters. »Ich hätte schwören können, Sie sind es. Die Ähnlichkeit ist außergewöhnlich.«
Die Reihe ungehobelter Kanes betrachtend, seufzte ihr Gastgeber. »Es ist eine schier unausweichliche Familienähnlichkeit. Ich vermute, meine Söhne werden auch mit dem Fluch belegt sein, die armen Teufel.«
Seine Söhne. Die Söhne, die er mit Vivienne haben würde. Große, kräftige Jungen mit blaugrünen Augen und honigblondem Haar, die sie Tante Caro nennen, ihr Heuschrecken ins Bett legen und sie insgeheim bemitleiden würden, dass sie keine eigenen Kinder hatte. Obwohl Caroline mit keiner Wimper zuckte, hatte sie das Gefühl, als habe ihr der berittene Krieger aus dem Bild die Spitze seines Schwertes ins Herz gebohrt.
»Wie ist Ihr Bruder diesem grässlichen Schicksal entkommen?«, fragte sie und bemühte sich um einen leichten Tonfall.
»Er hatte so viel gesunden Menschenverstand, unserer Mutter nachzuschlagen.« Kane drehte sich um, sodass der Kerzenschein nun auf die Gemälde auf der anderen Seite des Korridors fiel. Caroline folgte dem Licht und erblickte das ovale Portrait einer zierlichen Frau mit Haaren in der Farbe von Nerzen und mit lachenden dunklen Augen.
Ihre Fröhlichkeit war so ansteckend, dass Caroline nicht anders konnte, als ebenfalls zu lächeln. »Sie ist sehr schön. Lebt sie noch?«
Kane nickte. »Sie ist auf dem Kontinent, seit das Herz meines
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