Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)
Kreuz, aber sie war bereit, das alles hinzunehmen. Wenigstens fühlte sie sich hier drin einigermaßen sicher. Dank der hallenden Akustik draußen würden sie schon von Weitem hören, wenn jemand sich näherte. Sogar, wenn es ein schleichender Kater in einem Menschenkörper war. Denn selbst der würde nicht verhindern können, dass die Scharniere der Eingangstür dieses ohrenzerfetzende Kreischen von sich gaben.
Nele musterte die bleichen Gesichter ihrer Freundinnen, die sie aus großen Augen ansahen. Vor allem Charlotte und Aylin wirkten geradezu verstört, während Svea sich noch immer alle Mühe gab, Ruhe und Haltung zu bewahren.
»Also, was ist das alles jetzt?«, fragte sie schließlich ein wenig ungeduldig. »Warum verstecken wir uns hier? Warum vor Jari? Und warum haben wir die Mädchen mitgezerrt?«
Charlotte nickte energisch und vergaß dabei anscheinend ganz, dass es ihren Prinzipien widersprach, mit Svea einer Meinung zu sein. »Da draußen braut sich etwas sehr Böses zusammen. Nele, sag bitte nicht, dass du etwas damit zu tun hast!«
Aylin sagte nichts, aber sie sah Nele flehend an, als erwarte sie tatsächlich, dass sie etwas tun könnte, um diesen ganzen Wahnsinn zu beenden. Und aus irgendeinem Grund, den sie selbst nicht richtig greifen konnte, waren es Aylins verängstigte Augen, die es Nele am schwersten machten, zuzugeben, wie tief sie wirklich in diese Sache verwickelt war.
»Wahrscheinlich haltet ihr mich gleich alle für total verrückt«, begann sie endlich.
Svea stieß gereizt Luft durch die Nase. »Dafür ist es sowieso längst zu spät.«
Nele lachte hilflos. Dabei war in ihrem Leben noch nie etwas so wenig lustig gewesen. »Also, die Sache ist die: Jari ist nicht mehr Jari«, erklärte sie so sachlich sie konnte. »Und das alles da draußen ist seine Schuld.«
Stille folgte ihren Worten. Stille und Reglosigkeit. Sie verstanden es nicht, dachte Nele, aber wie sollten sie auch. Wer sollte so etwas verstehen? Wer sollte es auch nur glauben? Sie räusperte sich trocken, aber auch davon ging das belegte Gefühl nicht weg, das ihre Zunge und ihren Rachen mit einer pelzigen Schicht überzogen hatte. Sie krampfte die Hände in den Saum ihrer Jacke, weil es sich besser anfühlte, etwas zu haben, woran sie sich festhalten konnte, auch wenn es natürlich in Wirklichkeit gar nichts half. »Ich weiß, das klingt alles ziemlich durcheinander, und verrückt ist es auf jeden Fall– und zwar nicht gut verrückt, sondern wirklich böse verrückt. Aber würdet ihr mit dem Lachen oder Wegrennen vielleicht zumindest warten, bis ich mit der Erklärung fertig bin?«
Sie sah von einem zum anderen. Nicht einmal Svea versuchte jetzt noch, ihre Ratlosigkeit und Verwirrung zu verbergen. Aber schließlich nickten sie alle drei, und in diesem Augenblick hätte Nele sich vor Erleichterung am liebsten hingesetzt. Nur gab es in der kleinen Kabine keinen Platz mehr zum Sitzen, und gerade jetzt wollte Nele auf keinen Fall so aussehen, als wäre sie total am Ende, ganz egal wie sie sich wirklich fühlte. Also drückte sie nur den Rücken noch etwas fester gegen die Klinke.
Und dann atmete sie ein letztes Mal tief durch und erzählte ihren Freundinnen die ganze Geschichte. Angefangen mit ihrem Traum in der ersten Nacht im neuen Haus, als sie Seth zum ersten Mal begegnet war, bis hin zu Jaris Botschaft in der letzten Nacht, durch die sie von Seths vermutlichem Verrat erfahren hatte.
»Und ich dachte«, schloss sie schließlich und zwirbelte nervös eine Haarsträhne zwischen ihren Fingern, »weil du ihn doch auf dieser Ebene gesehen hattest, Svea, dass du mich vielleicht in deinen Traum reisen lässt, damit ich von dort aus zu Jari gehen kann. Ich weiß, es klingt irrsinnig. Aber ich würde dich nicht fragen, wenn ich nicht wirklich deine Hilfe bräuchte! Und Jari auch.« Sie biss sich auf die Lippe. »Glaubst du mir wenigstens?«
Svea antwortete nicht sofort. Ihre Miene war sehr ernst. Nur ihre Finger, die mit der Kette im Ausschnitt ihrer Bluse spielten, verrieten, wie unruhig sie war. Das kleine goldene Kreuz klickte wieder und wieder gegen ihre langen Fingernägel.
»Also«, meldete sich in diesem Augenblick Aylin zaghaft zu Wort. »Ich weiß nicht, ob es hilft, aber… auch wenn das alles ganz furchtbar verrückt klingt…« Sie schloss kurz die Augen, wie um sich zu konzentrieren. Dann aber lächelte sie schwach. »Ich kann nicht darüber lachen. Und ich glaube dir.«
Charlotte nickte in ihrer üblich
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