Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)
energischen Art. »Ja, genau das habe ich auch gerade gedacht. Ich glaube es, egal wie abstrus es klingt. Auch… wenn ich immer noch nicht verstehe, was Aylin und ich damit zu tun haben«, fügte sie murmelnd hinzu.
Nele konnte nicht anders, sie musste das Lächeln erwidern, auch wenn ihr gar nicht danach zumute war. Dass zumindest diese zwei wunderlichen Mädchen zu ihr hielten, tat ihr sehr gut. »Tut mir leid, ihr zwei. Ich habe euch mitgeschleift, weil ich nicht wollte, dass ihr Seth– oder Jari, wie ihr ja angenommen hättet– erzählt, wo ich bin. Und das hättet ihr ja wohl gemacht, wenn er euch gefragt hätte, oder?
Charlotte nickte langsam. »Ja… vermutlich schon.«
»Das kann doch alles einfach nicht wahr sein!«, sagte Svea in diesem Moment. Neles Herz setzte einen Schlag aus. Svea klang so wütend, als rege sie das alles furchtbar auf. Ihre Hand hatte sie jetzt um das Kreuz an ihrer Kette verkrampft, so fest, dass Nele schon erwartete, gleich Blut zwischen ihren Fingern hervortropfen zu sehen.
»Kater, die in Menschenkörpern herumlaufen! Traumwelten, Nachtglas! So etwas darf es doch einfach nicht geben!« Mit der freien Faust schlug Svea einmal kräftig gegen die schmutzige Toilettenwand. Etliche Sekunden lang war es sehr still in der Kabine. Svea hielt den Kopf gesenkt und starrte auf ihre Fußspitzen. Die Knöchel ihrer Fäuste traten weiß hervor, so fest hatte sie sie geballt.
»Nein, ich will das nicht glauben. Das ist doch gegen jede Vernunft.« Nun klang es, als spräche sie mit plötzlich matter Stimme zu sich selbst, und vermutlich tat sie das auch.
»Aber es gibt keine rationale Erklärung dafür«, flüsterte sie. »Alle Vernunft hilft uns hier nicht weiter. Da draußen ist dieses… Ding am Himmel. Die ganze Stadt dreht langsam durch. Ich habe Jari beobachtet in den letzten Tagen, und nein, er ist nicht er selbst. Aber er war es in diesem Traum. Ich habe ihn gesehen. So deutlich…« Langsam hob sie den Blick und sah Nele an. »Du… weißt wirklich, wie man in den Traum eines anderen gehen kann? Du denkst dir das alles nicht nur aus?«
Zögernd nickte Nele. Ihr Hals war noch immer trocken wie eine Wüste. »Der Kater hat es mir beigebracht«, sagte sie leise.
Wieder blieb Svea etliche Sekunden lang still. Dann richtete sie sich auf, zog ihren Blazer straff und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte.
»Na schön. Dann tun wir es.« Sie musterte Nele kritisch. »Es muss ja wohl hoffentlich nicht gleich hier sein.«
In diesem Augenblick wäre Nele ihr am liebsten um den Hals gefallen. Aber sie begriff sehr gut, dass jetzt ganz bestimmt nicht der richtige Zeitpunkt dafür war. »Danke«, brachte sie nur hervor. »Danke, Svea.«
Charlotte räusperte sich leise. »Also… mein Vater ist zurzeit auf Dienstreise, und meine Mutter begleitet ihn. Wir hätten das Haus für uns… wenn das hilft.«
Neles Herz machte einen Satz. Das klang gut. Das klang sogar sehr gut! Aufgeregt sah sie Charlotte an. »Weiß Jari, wo du wohnst?«
Charlotte zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Ich hab ja eigentlich nichts mit ihm zu tun.«
Die Mädchen wechselten einen Blick. Aber im Grunde war es schon jetzt eine beschlossene Sache. Nele wusste zu gut, dass sie so bald auf nichts Besseres kommen würden. Und wenn sie von irgendetwas wenig hatten, dann war es Zeit.
Sie verließen die Toilette einzeln, eine nach der anderen. Erst Aylin und Charlotte, dann Svea und schließlich Nele. Charlotte hatte Nele den einfachsten Weg zum Haus ihrer Eltern erklärt. Es war gar nicht so weit, von der Schule aus brauchte man zu Fuß etwas mehr als zwanzig Minuten. Nele hoffte nur, dass die Entfernung groß genug war und Seth sie nicht so bald aufspüren würde.
Als sie auf den kleinen Schulhof hinaustrat, schwitzte sie vor Aufregung. Sie hatte sich selten so gewünscht, sich einfach unsichtbar machen zu können, wie heute. Und das Nachtglas, das immer tiefer und immer bedrohlicher über ihr zu hängen schien, machte es auch nicht gerade besser. In Verbindung mit den verschreckten, nervösen Schülern, die planlos zwischen denjenigen herumirrten, die diesen glasigen, nach innen gekehrten Blick zeigten, fühlte sich die ganze Situation unangenehm nach einer Zombieapokalypse aus einem schlechten Hollywoodfilm an. Sie musste machen, dass sie hier wegkam. Und zwar schnell.
Bis zu den Fahrradständern ging alles gut.
Aber dort sah sie ihn schon von Weitem stehen: Seth, der
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