Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)
auf jeden Fall finden.
Stattdessen lief sie ziellos die Flure entlang und hielt verzweifelt Ausschau nach Svea, während sie fieberhaft überlegte, wohin sie sich verdrücken konnten, wenn sie sie erst gefunden hatte. Wenn sie überhaupt da war! Hoffentlich war Svea keine von denen, die heute Morgen nicht aufwachen wollten!
Sie zog gerade die Tür zum kleinen Schulhof auf, an dem die Turnhalle lag– da hörte sie hinter sich eine Stimme, die ihren Namen rief. Eine weibliche Stimme. Nele drehte sich um, und vor Erleichterung wurde ihr ein wenig schwindelig. Svea! Da war sie ja!
Sie hielt mit raschen Schritten auf Nele zu. Ihre Absätze klackerten dabei laut auf den Fliesen, und ihre Perlenohrringe schwangen ungewohnt nervös hin und her.
»Gott sei Dank!« Sie blieb vor Nele stehen und musterte sie kritisch aus schmalen Augen. Ihr Atem ging ein wenig flach. »Du bist einer der letzten normalen Menschen, wie ich hoffe?«
Nele konnte nur nicken.
Svea atmete tief durch und zog ihren Blazer zurecht, der ihr beim schnellen Laufen verrutscht war. »Ich habe Jari getroffen«, berichtete sie. »Er sucht verzweifelt nach dir. Er war seltsam, ganz seltsam, sage ich dir. Und ich dachte, er wäre letzte Woche komisch gewesen.« Sie schnaufte noch einmal. »Was passiert hier denn bloß? Und was ist das da oben am Himmel? Hast du irgendeine Ahnung?«
Nele hörte ihre Fragen gar nicht richtig. Seth suchte also bereits nach ihr! Genau wie sie befürchtet hatte. »Er darf mich auf keinen Fall finden!«, sagte sie hastig. »Hilf mir, mich zu verstecken! Bitte!«
Sveas rechte Augenbraue hob sich, und nun sah sie so aus, als würde sie doch an Neles gesundem Verstand zweifeln. Sie setzte zu einer Frage an, überlegte es sich dann aber anders und schüttelte, scheinbar resigniert, den Kopf. »Wenn es so wichtig ist, warum sperrst du dich dann nicht auf der Toilette ein?«
Das Mädchenklo. Natürlich! Nele hatte das Gefühl, jemand hätte ein gewaltig dickes Brett vor ihrem Kopf weggerissen. Warum war sie darauf nicht selbst gekommen? So dreist würde ja hoffentlich nicht einmal Seth sein.
Kurz entschlossen griff Nele nach Sveas Arm. »Du musst mitkommen! Und bitte, glaub mir, ich bin nicht verrückt, aber das alles ist total kompliziert, und ich kann es dir nur erklären, wenn ich keine Angst haben muss, dass er uns gleich überrascht.«
Svea sah sie nun vollkommen verständnislos an. Aber wenigstens schien sie zu begreifen, dass Nele es ernst meinte, und sie brach auch nicht in Gelächter aus.
In diesem Augenblick entdeckte Nele allerdings noch etwas anderes. Oder besser: jemand anderen. Nicht Jari, zum Glück. Aber auch die zwei roten Baskenmützen waren nicht unbedingt das, was sie gerade jetzt gebrauchen konnte.
Svea folgte Neles Blick und verdrehte die Augen. »Na schön. Gehen wir.«
So absurd es auch war, in diesem Moment hätte Nele fast gekichert. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass ihre Nerven völlig überspannt waren.
Was Aylin und Charlotte betraf, so war es allerdings schon viel zu spät, um sich vor ihnen zu verstecken. Sie hatten Nele und Svea längst gesehen und steuerten geradewegs über den kleinen Schulhof auf sie zu.
»In die Turnhalle.« Ohne länger darüber nachzudenken verstärkte Nele ihren Griff um Sveas Arm und zog sie mit sich. Aus dem Augenwinkel sah sie ungläubiges Staunen auf den Gesichtern der Baskenmützenmädchen erscheinen.
»Nele!«, rief Aylin.
»Wo geht ihr hin?«, gellte Charlotte im gleichen Moment. Ihre Stimme klang schrill, hysterisch geradezu. Immer wieder zuckte ihr Blick zum Himmel, zu dem Riss und den wabernden, unsteten Bildern im Nachtglas hinter den Wolken.
»Wir schließen uns auf dem Klo ein!« Nele zog Svea weiter, damit die bloß nicht auf den Gedanken kam, es sich noch einmal anders zu überlegen. »Kommt mit!«
Charlotte und Aylin blieben stehen wie vom Donner gerührt, und es war klar, dass Svea nun nicht mehr die Einzige war, die an Neles geistiger Zurechnungsfähigkeit zweifelte. Aber das war Nele egal. Denn schließlich folgten sie ihr alle drei, während Seth noch immer nirgends zu sehen war. Und nur das zählte.
Kurz darauf quetschten sie sich alle in die kleine Toilette der Mädchenumkleide. Aylin und Charlotte hatten sich nebeneinander auf den Klodeckel gedrängt, Nele und Svea standen mit dem Rücken zur Tür. Es stank nach altem Urin, die Wände waren mit Edding, Dreck und wer wusste was noch beschmiert, und die Klinke drückte unangenehm in Neles
Weitere Kostenlose Bücher