Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)
Stoff ihrer Jeans sickerte.
Vorsichtig legte Nele ihre Hand über seine, spürte heiße, trockene Haut an ihrer und seinen hastigen Puls darunter. Bis zu diesem Moment hätte sie nie gedacht, dass es so leicht sein könnte, jemanden bei der Hand zu nehmen. Aber dies fühlte sich einfach nur richtig an.
»Ich sage nichts«, versprach sie endlich leise. »Niemandem.«
Zumindest, dachte sie, solange er recht behielt und es wirklich niemals wieder vorkam. Andernfalls würde sie schon einen Weg finden, ihn zu überzeugen, dass er reden musste.
Sie konnte Jaris Nicken kaum sehen, so klein war es. Auch die Hand bewegte er kaum, fing nur Neles Daumen mit seinem, sodass sie sich kurz verschränkten. Seine Wangen hatten sich leicht gerötet, und sein Lächeln geriet ein wenig schief.
»Danke«, sagte er. Sonst nichts.
Und dann zog er ganz vorsichtig seine Hand zurück und schob sie in die Bauchtasche seines Kapuzenpullis. Der Moment war vorbei.
Jari strich sich mit der anderen Hand nasse Haarsträhnen aus der Stirn. »So, und jetzt du«, sagte er, und Nele hörte seine Stimme ein kleines bisschen beben. Vielleicht, weil auch sein Herz noch nicht begriffen hatte, dass es keinen Anlass mehr gab, wie wild zu galoppieren? Neles Atem jedenfalls ging immer noch ein wenig flacher als normal.
»Warum stehst du heute so neben dir? So müde kann man doch gar nicht sein.«
Nele biss sich auf die Lippe. Das war ein Ablenkungsmanöver, keine Frage. Weg von dieser ganzen Dramatik, damit sie vielleicht einen Weg zurück in die Normalität fanden. Woher sollte er auch wissen, wie verdreht die Sache mit ihr und den Träumen war?
»Nein, ich weiß auch nicht«, sagte sie darum bloß ausweichend. »Ich hab total mies geträumt. Seit zwei Nächten schon. Ich hab das öfter, aber irgendwie ist es diesmal echt noch heftiger als sonst. Wenn das so weitergeht, bin ich bis zum Wochenende tot vor Müdigkeit.«
Jari hob die Brauen, und für einen Augenblick sah es so aus, als wollte er lachen. Aber er tat es nicht.
»Willst du’s erzählen?«, fragte er. Ganz ernst. Kein bisschen belustigt. Nur interessiert und vielleicht ein wenig besorgt. Und Nele überkam der überwältigende Drang, ihm einfach alles vor die Füße zu werfen, was sie in den letzten Nächten gequält hatte. Was sie Lilly bisher nicht hatte erzählen können, oder Paps oder Mommi. Nur war das viel zu viel, um es in eine einzige Pause zu verpacken, die sowieso schon fast vorbei war…
Nele nickte langsam. »Ein anderes Mal, in Ruhe.«
In diesem Moment ertönte aus dem Lautsprecher scheppernd der Gong, der das Ende der Pause ankündigte. Jari verdrehte kurz die Augen und grinste schief. »Ach so. Schon klar.« Er stand auf.
»Nein, ehrlich!« Hastig kam Nele ebenfalls auf die Füße. Sie musste ihm irgendwie zeigen, dass sie es ernst meinte. Fieberhaft überlegte sie, welche Gelegenheit es geben könnte, wo sie sich ohne Zeitlimit ungestört unterhalten konnten. Und dann kam ihr eine Idee. »Ich wollte heute Nachmittag in die Stadt, um mir einen Trainingsanzug zu kaufen. Damit ich bei der nächsten Sportstunde nicht erfriere. Willst du mitkommen?«
Jari antwortete nicht gleich. Sein Grinsen war immer noch schief, aber es war jetzt zugleich auch ein halbes Lächeln. »Wirst du meine Gesellschaft wieder mit Essen erkaufen, wenn ich Nein sage?«
Nele konnte nicht anders. Sie musste lachen. »Wenn nötig. Ich schrecke vor nichts zurück.«
»Na dann.« Jari blinzelte und griff nach seiner Jacke. »Das kann ich natürlich nicht ablehnen. Ich denke, da lässt sich was machen.«
Nele nickte erleichtert. »Ja dann– ist es abgemacht?«
Jari schulterte seine Tasche. »Abgemacht. Wir könnten uns am Alten Markt treffen, so um halb fünf? Am großen Brunnen. Den findest du doch sicher.«
»Na klar.« Auch Nele griff nach ihren Taschen, und gemeinsam machten sie sich auf den Weg zurück auf den Schulhof. »Gar kein Problem.«
Der Hof hatte sich schon ziemlich geleert, als sie schließlich nach draußen traten. Und als sie ihn gerade zur Hälfte überquert hatten, ertönte schon der zweite Gong.
»Ich hab jetzt Physik.« Jari rückte den Riemen seiner Tasche zurecht und hielt Nele die Tür zum Schulgebäude auf. »Ich glaube, wir sehen uns heute nicht mehr, oder?«
Nele schlüpfte an ihm vorbei ins Treppenhaus. »Ich weiß nicht genau. Jetzt muss ich jedenfalls hoch zu Geschichte. Falls wir uns nicht mehr über den Weg laufen, sehen wir uns ja dann spätestens heute
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