Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)

Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)

Titel: Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anika Beer
Vom Netzwerk:
meinte– den Grund für die Misshandlung, oder weshalb Jari offenbar vorhatte, sie so klaglos zu ertragen.
    Jari aber zuckte nur leicht die Schultern. »Es ist niemals vorher passiert«, sagte er und beantwortete damit zumindest indirekt die zweite Version der Frage. Etwas angestrengt holte er Luft. »Nicht so. Und es wird hoffentlich bei diesem einen Mal bleiben. Aber ich kenne die Gerüchte. Niemand wird mir glauben, wenn ich das sage, also halte ich es für besser, wenn kein Aufhebens darum gemacht wird.«
    »Was?« Nele riss die Augen auf. Der Mund blieb ihr offen stehen bei dieser Eröffnung. Das konnte er doch nicht wirklich ernst meinen! »Aber…« Sie stockte und verstummte, unfähig, die Erschütterung in Worte zu fassen.
    »Siehst du? Nicht mal du glaubst mir. Dabei hast du überhaupt keine Ahnung.« Jari musterte sie scharf, sein Gesicht noch immer verdunkelt vor Anspannung. Dann aber schüttelte er den Kopf. »Mach dir keine Gedanken.« Seine Stimme klang jetzt sehr ruhig, fast behutsam und gleichzeitig bestimmt, als wolle er Nele unmissverständlich klarmachen, dass er meinte, was er sagte. »Das ist meine Sache, und die meiner Familie. Und das soll auch so bleiben. Sonst wird es nur schlimmer.«
    Nele räusperte sich. Zog mit den Zähnen einmal kräftig an ihrem Piercing und räusperte sich noch einmal, aber es half nicht. Sie fühlte sich geradezu ohnmächtig vor Wut auf diesen grässlichen Menschen, der Jari so verletzt hatte, und ein bisschen auch auf Jari, weil der ganz offensichtlich nicht vorhatte, irgendetwas dagegen zu unternehmen.
    »Warum…« Ihre Stimme zitterte jetzt, aber das war ihr egal. »Ich meine, willst du damit denn nicht zum Jugendamt gehen oder so?«
    Jaris Brauen fuhren in die Höhe, als hätte er sich allein bei dem Gedanken erschrocken. Dann verdüsterte sich sein Gesicht erneut. »Das geht die gar nichts an!«, sagte er sehr deutlich.
    Nele leckte sich nervös über die trockenen Lippen. »Aber…«
    Weiter kam sie nicht, weil Jari mit einer schnellen Bewegung die Hand auf ihr Knie legte und die Finger nachdrücklich in ihren Oberschenkel grub– so fest, dass es beinahe wehtat.
    »Lass das.« Er starrte Nele eindringlich an. »Bitte.«
    Momente lang saß Nele einfach nur da, starr wie ein Stock, obwohl ihr erster Impuls noch immer war, zu protestieren. Wie konnte er das einfach mit sich machen lassen, warum wollte er nicht einmal versuchen, sich zu wehren? Sie bekam das einfach nicht in ihren Kopf. Aber es war, als hätte Jari mit seinem Griff auch ihre Stimme einfach abgedrückt– und mit ihr Neles Protest, obwohl das natürlich Unsinn war. Trotzdem nickte sie nur stumm.
    Jari lockerte seinen Griff ein wenig. Und auch seine Miene entspannte sich etwas.
    »Ich weiß, du meinst es gut.« Seine Stimme klang nun ebenfalls wieder ruhiger, viel gefasster als noch Sekunden zuvor. »Aber es ist viel komplizierter, als es sich für dich wahrscheinlich anhört.« Er holte tief Luft und richtete sich ein Stück auf. Sein Blick aber ließ Nele nicht los, und auch seine Hand blieb, wo sie war. »Ich meine, klar kann das Jugendamt vielleicht was machen, aber was wäre das? Mich da rausholen? Zwei Jahre noch, dann bin ich sowieso weg. Und selbst wenn sie ihn in den Knast stecken, was bei diesem einen Ausrutscher sowieso nicht passieren würde…« Er schüttelte den Kopf. »Meine Mutter kann nicht allein bleiben. Das steht sie nicht durch. Verstehst du, egal wie sehr ich ihn verachte… Zu ihr ist er nicht so. Nie. Und es ist besser, wenn er bei ihr ist, wenn ich nicht mehr da bin. Es wird sowieso alles besser sein, wenn ich nicht mehr da bin…«
    Jari verstummte. Nele blieb sitzen, noch zu überfahren von dem, was sie gerade gehört hatte, und zu überwältigt von der unerwarteten Offenheit, mit der Jari von sich und seiner Familie erzählte, um Worte zu finden, mit denen sie darauf hätte reagieren können. Sie begriff nicht, wie sie zu dieser doch etwas zweifelhaften Ehre kam, und sie wusste auch nicht recht, ob sie sich darüber freuen sollte. Aber das war in diesem Augenblick eigentlich auch nicht so wichtig. Wichtig war nur dieses seltsame Gefühl der Verbundenheit, das sich während Jaris Rede zwischen ihnen aufgebaut hatte; ein Gefühl, das Nele nicht in Worte hätte fassen können, und das doch plötzlich so unglaublich greifbar war. Sie sah es im hellen Graublau von Jaris Augen, die sie noch immer unbeirrt ansahen, und sie spürte es in der Wärme seiner Finger, die durch den

Weitere Kostenlose Bücher