Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)
schwarzen Bluterguss an seinen Rippen. Es sah brutal aus. Ein anderes Wort fiel Nele dafür einfach nicht ein.
Eine kleine Ewigkeit, so schien es ihr, standen sie sprachlos voreinander. Neles Kopf war wie leer gefegt. Ihr war sofort glasklar, dass sie gerade etwas entdeckt hatte, das Jari unbedingt hatte verbergen wollen. Am liebsten wäre sie auf der Stelle im Boden versunken. Und trotzdem brachte sie es kaum fertig, sich vom Anblick Jaris geschundener Brust loszureißen und ihm auch nur ins Gesicht zu sehen. Ihr stand plötzlich wieder sehr deutlich vor Augen, was für schmerzhafte Grimassen er während des Sportunterrichts gezogen hatte. Also hatte sie sich das nicht bloß eingebildet!
Endlich rührte Jari sich. Mit einer langsamen, fast bedächtigen Bewegung zog er das Handtuch von seinen Schultern und faltete es langsam zusammen, sodass der verschlissene Frotteestoff für den Moment die Sicht auf den Bluterguss verdeckte.
»Du bist ja noch hier. Geht’s dir besser?«
Er sagte das ganz ruhig, als sei überhaupt nichts dabei, dass sie sich ausgerechnet jetzt und hier begegneten. Aber Nele sah, dass seine Hände leicht zitterten, als er das Handtuch eine Spur zu sorgfältig in seine Sporttasche legte.
Krampfhaft bemühte sich Nele, den Kloß in ihrer Kehle herunterzuschlucken. Antworte, Nele!, dachte sie verzweifelt. Sag irgendwas!
»Ja, schon«, brachte sie schließlich heraus. »Im Krankenzimmer war es so schön warm. Da muss ich irgendwie eingeschlafen sein. Ich wollte mich bei Herrn Beek zurückmelden, aber er scheint schon weg zu sein.«
Jari hatte sich, während Nele noch nach Worten rang, sein Shirt und seinen Pullover übergestreift und drehte sich langsam wieder zu ihr um.
»Ist er«, bestätigte er, noch immer so unheimlich ruhig. Aber Nele glaubte, eine unterdrückte Anspannung in seiner Stimme zu hören, die er unter keinen Umständen zeigen wollte. »Darum dachte ich, du wärst es auch.«
Nele schluckte und schüttelte den Kopf. Was sollte sie auch anderes tun? Ganz offensichtlich war sie eben doch noch da, und keiner von ihnen beiden fühlte sich damit besonders wohl. Kurz war ihr danach, sich bei Jari zu entschuldigen. Aber das ergab nun wirklich keinen Sinn.
Jari stieß einen kleinen Seufzer aus und ließ sich auf die Bank unter den Kleiderhaken sinken. Nele musterte ihn überrascht. Ein wenig hatte sie erwartet, dass er versuchen würde, zu fliehen, sobald er konnte. Aber tatsächlich machte er nicht den Eindruck, als hätte er etwas in der Art vor. Und das, obwohl er sich vermutlich denken konnte, dass Nele nach allem, was sie gesehen hatte, nun unmöglich so tun konnte, als wäre nichts.
Vielleicht wollte er ja sogar darüber reden?
Zögernd setzte Nele sich neben ihn. Nicht so dicht, dass die Gefahr bestand, sie könnten sich versehentlich berühren, aber doch dicht genug, damit er, wenn er wollte, begreifen konnte, dass auch ihr die Situation naheging.
»Das… sieht echt schlimm aus«, begann sie vorsichtig.
Jari hob den Kopf, wandte ihr das Gesicht zu und musterte sie kritisch. »Das musst du gerade sagen.«
Nele sah ihn verblüfft an. »Was?« Einen Moment lang wusste sie wirklich nicht, was er meinte. Aber dann fiel ihr ihre Nase wieder ein, die sie über dem Schreck ganz vergessen hatte. Unwillkürlich hob sie die Hand, um den Nasenrücken zu betasten. Er fühlte sich schon ein wenig geschwollen an. Sie musste zum Brüllen aussehen, dachte Nele und hätte am liebsten ihr Gesicht ganz hinter den Händen versteckt. Und trotzdem. Das konnte man doch nun wirklich nicht vergleichen.
»Das war ein Unfall«, murmelte sie.
Jari zog die Brauen zusammen und schwieg eine ganze Weile. Offenbar hatte er die versteckte Frage in Neles Worten sehr gut verstanden. Aber er schien nicht gerade wild darauf zu sein, sie auch zu beantworten. Er schwieg so lange, dass Nele irgendwann dachte, er würde vermutlich gar nichts mehr sagen– doch schließlich seufzte er noch einmal. Es klang ziemlich gequält.
»Mein Vater…«, setzte er an, brach wieder ab und schüttelte finster den Kopf. »Erzähl’s keinem, okay?«
Nele starrte ihn an und wusste im ersten Augenblick nicht, was sie darauf sagen sollte. Sie konnte kaum glauben, was sie da hörte. Sein Vater hatte ihm das angetan? Dann schlug er Jari also tatsächlich, wie Charlotte behauptet hatte? Und trotzdem wollte Jari nicht, dass jemand davon erfuhr?
»Warum?«, brachte sie endlich heraus und wusste selbst nicht ganz genau, was sie damit
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