Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)
sagte sie nur. »Und berichte mir alles.«
Obwohl ihre Stimme bemerkenswert gleichförmig klang, hatte Tora das Gefühl, das letzte Wort präge sich wie ein Brandmal in ihre Gedanken. Alles. Das klang ja, als erwarte die Göttin etwas Besonderes. Aber Tora hütete sich, noch einmal nachzufragen. Sie würde Faes Anweisungen einfach befolgen. Und sie würde sehr, sehr genau hinsehen.
In der Mitte des Zimmers blieb Jari stehen und sah sich eine ganze Weile mit aufmerksamem Blick um. Nele wartete neben der Balkontür, genau dort, wo er sie hatte stehen lassen. Ihre Knie waren immer noch unangenehm weich, und sie hatte das Bedürfnis, sich gegen die Tür zu lehnen. Aber das verbot sie sich. Stattdessen zog sie nur den hässlichen Blümchenvorhang wieder vor die Scheibe. »Soll ich Licht anmachen?«
Jari warf ihr über die Schulter einen raschen Blick zu. »Für mich nicht. Aber mach es ruhig an, wenn du dich dann wohler fühlst.«
Nele schluckte und zupfte an ihrem Piercing. Dann biss sie sich ärgerlich auf die Lippe, ging kurz entschlossen zum Schreibtisch hinüber und knipste die Lampe an. Gelbes Licht flutete den Raum und Nele atmete unwillkürlich auf. Auch wenn sie sich im zweiten Augenblick schon nicht mehr so sicher war, ob sie sich wirklich wohler fühlte, jetzt wo sie Jari besser erkennen konnte– und mit ihm den Dreck, die Kratzspuren und die Löcher in seiner Kleidung, die aussahen, als sei er rücksichtslos durch dichtes Gestrüpp gebrochen.
Nele verschränkte die Arme vor der Brust. Sich an sich selbst festzuhalten, machte die Situation ein bisschen leichter– zumindest bildete sie sich das ein. »Also?«
Jari wandte sich endgültig zu ihr um. Auf seinem Gesicht lag ein Lächeln, aber es schien seine Miene zu verdunkeln, statt sie zu erhellen. »Gib mir noch einen Moment, ja? Das ist nicht so leicht in Worte zu fassen.« Damit setzte er seine Inspektion des Raumes fort, indem er am Bett entlangging und seine Finger leicht über die Matratze gleiten ließ.
Ein Kribbeln wuchs in Neles Brust, direkt unter ihrem untersten Rippenbogen, und fast hätte sie gelacht. Sie hatte das Gefühl, allmählich hysterisch zu werden. Aber das konnte sie nicht herauslassen, unter keinen Umständen. Also zwang sie sich, weiter zu warten, obwohl sie glaubte, jeden Moment explodieren zu müssen.
»Weißt du«, sagte Jari endlich, ohne in seiner Wanderung durch den Raum innezuhalten oder Nele auch nur anzusehen, »wenn du den Eindruck hast, ich sei ein anderer Mensch als der, mit dem du vor ein paar Tagen noch gesprochen hast, dann liegst du damit nicht ganz falsch.« Für einen Sekundenbruchteil verharrte seine Hand über einem Glas mit knallbunten Flummis im Regal neben der Tür. »Aber auch nicht ganz richtig«, fügte er nachdenklich hinzu und zog die Hand wieder zurück.
Nele konnte den Blick nicht von ihm lösen, wie er durch das Zimmer streunte und jeden einzelnen ihrer spärlichen Einrichtungsgegenstände aufs Genaueste begutachtete, manche vorsichtig anstupste oder hin und her schob. Am liebsten hätte sie gefragt, ob er nicht vielleicht gnädigst bereit wäre, endlich die Finger von ihren Sachen zu lassen und stattdessen diese verdrehten Andeutungen etwas genauer auszuführen. Aber sie wusste, damit würde sie eingestehen, wie sehr sie nervlich am Boden war, und das wollte sie auf keinen Fall.
»Ich habe gestern auf dich gewartet!«, stieß sie schließlich hervor, als sie es endgültig nicht mehr aushielt. »Und ich habe dich gesucht! Ich war sogar bei dir zu Hause!«
Jari blieb wie angewurzelt stehen. Einen Augenblick lang verharrte er so, dann drehte er sich um und machte zwei große Schritte auf Nele zu, bis er dicht vor ihr stand. In seinem Blick lag wieder dieses Funkeln, das Nele nicht deuten konnte, das dafür aber umso mehr eine Gänsehaut über ihren Rücken kriechen ließ.
»Nein, du irrst dich«, sagte er leise. »Du hast nicht auf mich gewartet. Sondern auf Jari. Das ist ein großer Unterschied.«
Entgeistert starrte Nele ihn an. Was sollte das denn nun heißen? Natürlich hatte sie auf Jari gewartet– auf ihn! Auf wen denn sonst? Das klang ja gerade, als ob… Sie brachte den Gedanken nicht zu Ende.
»Erkennst du mich wirklich nicht?« Jaris Worte waren nun fast tonlos. »Und wenn ich dir nun sagte, dass all das hier nur ein Traum ist?«
Noch immer konnte Nele nicht in seinen Augen lesen. Sie biss sich auf die Lippe. »Ich weiß, wann ich träume und wann nicht«, brachte sie hervor, aber
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