Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)
angenommen.
»Ich bekoche mich selbst einfach zu gern«, sagte sie. Die ganze Unterhaltung fühlte sich plötzlich sehr viel besser an, wie sie so voreinander standen und Schokolade aßen.
Ein schiefes Grinsen erschien auf Jaris Gesicht– ganz klein nur, aber Nele sah es trotzdem. »Meine Mutter traut mir das nicht zu«, sagte er und verdrehte kurz die Augen. »Sie mag es nicht, wenn ich in der Küche bin. Außer der Mikrowelle darf ich nichts benutzen.«
Nele musste lachen. »Wenn meine Mommi so drauf wäre, wäre meine komplette Familie längst verhungert.« Sie knüllte das Snickerspapier zu einem kleinen Ball zusammen und stopfte es in ihre Hosentasche. »Willst du mit zu mir kommen, zum Essen? Ich koche wirklich ganz gut. Das heißt, wenn du Spinat magst.«
Sie wusste selbst nicht, warum sie das sagte, es rutschte ihr einfach so raus– keine große Sache eigentlich. Jaris Augen aber weiteten sich, und dann wurden sie dunkel. Innerhalb eines Sekundenbruchteils verschwand das winzige bisschen Offenheit, das Nele gerade noch in seinem Blick gesehen zu haben glaubte.
»Das geht nicht.« Seine Stimme klang nun geradezu schroff, und Nele konnte förmlich sehen, wie er innerlich einen Schritt von ihr zurücktrat, obwohl er sich nicht von der Stelle rührte. Es war, als hätte Jari einen Stock zwischen sie in den Sand gesetzt und eine scharfe Trennlinie gezogen, die ganz klar sagte: Bis hierher – und keinen Schritt weiter. Bleib auf deiner Seite der Welt! Verwirrt sah Nele ihn an.
»Okaaay«, sagte sie gedehnt. Sollte sie das jetzt persönlich nehmen? Oder wie war das zu verstehen?
Aber Jari schien nicht die Absicht zu haben, näher auf das Thema einzugehen. Er hatte es offenbar plötzlich sehr eilig. »Also, ich muss rauf«, sagte er, schon halb im Gehen. »Wir sehen uns ja morgen, in Englisch.«
Nele blieb kaum noch Zeit, zu nicken und ihm ein »Bis morgen!« nachzurufen. Dann war Jari auch schon fort und ließ sie mit einem seltsam mulmigen Gefühl im Bauch zurück.
***
Es war still in der Wohnung, als Jari nach Hause kam. Kein Wunder, schließlich lag seit dem frühen Morgen der sonst ewig plappernde Fernseher auf dem nassgrauen Asphalt vor dem Haus. Jaris Vater war noch nicht daheim, er machte Spätschicht mit Überstunden in der Elektrobaufirma, wo er für einen Hungerlohn Lampenkabel am Fließband zusammenschraubte. Und seine Mutter… Nun, die schlief wohl. Hoffentlich.
Leise zog Jari die Wohnungstür hinter sich ins Schloss. Im dämmrigen Licht des Flurs konnte er die zu einem unförmigen Berg aufgestapelten Jacken an der Wand nur schemenhaft erkennen. Die Garderobe war vor drei Wochen heruntergefallen. Aber solange Jari sie nicht irgendwann selbst wieder anbrachte, würde es so bald niemand tun. Der Geruch von altem Zigarettenqualm, abgestandenem Bier und muffiger Wäsche kitzelte seine Nase. Ein vertrauter Willkommensgruß.
Er ließ die Schuhe an, weil er sich nicht sicher war, ob vom Streit am Morgen nicht noch irgendwo Scherben herumlagen. Von dem Glas, das sein Vater nach ihm geworfen hatte, und dem er nur knapp hatte ausweichen können, ehe es hinter ihm an der Wand zersplittert war. Es war ein außergewöhnlich heftiger Streit gewesen. Wieder einmal. Und dabei war es nur um ein bisschen Milch gegangen. In letzter Zeit kam das zu oft vor. Diese Auseinandersetzungen, die weit über das übliche Wutgebrüll hinausgingen. Viel zu oft.
Der Kunststoffboden klebte ein wenig unter seinen Sohlen, als er so leise wie möglich durch den Flur in die Küche schlich. Im Kühlschrank lagen ein mickriger Rest alter Käse– kaum mehr als eine schmale dunkelgelbe Schicht über der trockenen Rinde– und zwei Scheiben bröseliges Brot in einer Tüte. Daneben stand eine Schüssel mit Kartoffeln und grünen Speckbohnen, die in einer dicken braunen Soße schwammen. Reste von gestern, und damit zugleich alles, was von einem der raren Hoffnungsfunken übrig war– jenen guten Momenten, in denen Jaris Mutter noch etwas anderes aus dem Supermarkt mitbrachte als Alkohol, Fertiggerichte und Brot. Vermutlich würde sein Vater das später essen wollen, und ganz sicher war es nicht die klügste Idee, ihn schon wieder zu provozieren. Aber Jaris Magen knurrte, und wenn er die Wahl hatte zwischen einer hungrig verbrachten Nacht und einem vollen Bauch, ehe sein Vater heimkam und mit hoher Wahrscheinlichkeit ohnehin Stunk machte, dann fiel ihm die Entscheidung dennoch leicht.
Als er die Schüssel in die Mikrowelle
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