Wenn die Schatten dich finden: Thriller (German Edition)
wies sie mithin das Einzige ab, was er seiner Meinung nach geben konnte. Sie bedeutete ihm viel, das wusste sie. Sogar Noah wusste es, nur wollte er nicht danach handeln, und Samara ertrug es nicht mehr, so in der Luft zu hängen.
Sie würde ihn immer lieben. Daran hegte sie nicht den geringsten Zweifel. Aber leider hieß jemanden zu lieben nicht zwangsläufig, dass diese Liebe auch erwidert wurde. Oder dass es einem bestimmt wäre, mit demjenigen zusammen zu sein.
Ihr war bewusst gewesen, dass sie Noah gestattete, sie zu beschützen, weil sie auf diese Weise noch etwas mit ihm verband. Nun wurde ihr klar, dass es noch einen anderen Grund gegeben hatte. Trotz all ihres harten Trainings in den letzten Monaten hatte sie nicht recht darauf vertraut, dass sie auf sich selbst aufpassen könnte. Die Erfahrung mit Mitchell Stoddard und dessen Männern hatte ihr das Gefühl gegeben, schwach und wehrlos zu sein. Ihr Selbstvertrauen war in seinen Grundfesten erschüttert worden. Ein Leibwächter, ganz gleich wie vehement sie gegen ihn protestierte, war wie ein Sicherheitsnetz, von dem sie erst jetzt begriff, dass sie es gebraucht hatte. Könnte sie sich notfalls selbst schützen? Sie war nicht sicher gewesen. Bis sie auf die Probe gestellt wurde.
Der Mann war durchschnittlich groß und nicht besonders trainiert gewesen, aber dass sie ihn überwältigte, hatte ihr etwas bewiesen. Sie war nicht panisch geworden, nicht weggelaufen, nicht einmal zusammengezuckt. War sie Wonderwoman? Nein, natürlich nicht, aber sie war um ein Vielfaches stärker als noch wenige Monate zuvor. Und das nicht bloß physisch, sondern auch mental.
Sie hatte wiedergefunden, was Mitchell ihr genommen hatte, und es verstärkt. Das Trauma zu überwinden fühlte sich befreiend und aufregend an. Diese Erkenntnis führte Samara zur nächsten: Es war Zeit, nach vorn zu sehen. Sie brauchte einen Job, ein Privatleben. In wenigen Tagen würde sie nach Birmingham zurückkehren und sich nach einer Stelle als Sozialarbeiterin umsehen. Sie war gut in dem, was sie tat, und sie konnte dort etwas bewegen, weshalb sie seinerzeit auch gerade diese Laufbahn eingeschlagen hatte. Wenn möglich, würde sie gern weiter für die Macklin-Agency arbeiten, aber vor allem wollte sie sich auf ihre Zukunft konzentrieren.
Ohne Noah. Gott, wie es schmerzte, diese Worte nur zu denken. Aussprechen konnte Samara sie bisher noch nicht. Vielleicht könnte sie es nie. Aber ebenso wenig durfte sie den Traum aufrechterhalten, der nie Wirklichkeit werden würde. Sie hatte Noah gesagt, er solle sie loslassen. Dasselbe musste sie mit ihm tun.
Mitch hielt das Handy an sein Ohr, während er seinen Geländewagen um einen Traktor herumlenkte. Auf der Route nach Birmingham hielt er sich zumeist auf den Nebenstraßen. Die Autobahnpolizei müsste etwa vor einer Stunde von dem entflohenen Häftling erfahren haben. Nicht dass sie vermuten würden, bei dem Mann in dem dunkelgrünen Ford Explorer, der wie ein gewöhn licher Geschäftsreisender aussah, könnte es sich um ihren Flüchtigen handeln. Dafür wirkte er viel zu normal.
Luther meldete sich beim dritten Klingeln. »Hast du alles, Junge?«
»Ja, habe ich. Du hast gute Arbeit geleistet. Wirklich klasse.«
»Der Explorer sollte für eine Weile gehen. Ein paar Jungs haben ihn mir in Memphis besorgt, die Nummern schilder ausgetauscht und ihn umgespritzt. Die Waffe ist ebenfalls sauber. Ich hätte dir ja gern noch einen Pass beschafft, aber solche Verbindungen habe ich leider nicht.«
»Ich komme auch so außer Landes. Danke für deine Hilfe.«
»Hast du das Geld und die Akte über das Mädchen unterm Sitz gefunden?«
»Ja.«
»Ist wirklich zu blöd, dass ich nichts über deinen Bruder rauskriegen konnte, aber da war einfach nichts.«
»Schon okay. Ich wette, das Mädchen weiß was.«
»Was hast du vor?«
»Wenn ich dir das erzähle, muss ich dich hinterher töten.«
Mitch hörte, wie Luther am anderen Ende laut schluck te. Die angespannte Stille, die nun folgte, verriet ihm, dass Luther Prickrel eine Scheißangst vor ihm hatte. Was Mitch nur recht war. Je mehr man jemanden fürchtete, umso gründlicher überlegte man sich, ob man ihn wirklich reinlegen wollte.
»War nur ’n Witz, Mann. Ich bin dir echt was schuldig.«
»Ich war deinem Dad was schuldig. Aber jetzt sind wir quitt, klar? Wenn du dich wieder schnappen lässt, kann ich dir nicht noch mal helfen.«
»Das wird auch nicht nötig sein. Ich erledige noch kurz was, und dann bin
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