Wenn die Schatten dich finden: Thriller (German Edition)
Freundin war, grinsend die Zunge heraus. Rachel, die Zynikerin, wie Samara sie gern nannte, glaub te nicht an die Liebe »bis dass der Tod euch scheidet«. Samara hingegen wusste, dass es so etwas gab, hatte sie es doch selbst aus nächster Nähe erlebt. Ihre Eltern waren seit über fünfunddreißig Jahren glücklich verheiratet – von Samaras fünf ebenfalls sehr glücklichen Brüdern und Schwägerinnen ganz zu schweigen.
Bei Rachel firmierte Samara unter dem Spitznamen Pollyanna, weil sie ihrer Meinung nach ebenso wie das kleine Waisenmädchen aus dem Buch ein erstaunliches Vertrauen in das Gute im Menschen setzte, obwohl doch alle Beweise dagegen sprachen. Und Samara widersprach ihr nicht, weil es stimmte. Sie glaubte wirklich, dass die Leute im Grunde gut waren, und bisher hatte sie sich, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, auch nicht vom Gegenteil überzeugen können.
»Okay, Mädchen.« Rachel nippte an ihrem eisigen Drink, leckte sich das Salz von den Lippen und beugte sich vor. »Wer ist es diese Woche?«
Es machte Samara nichts aus, wenn Rachel sich über sie lustig machte. »Hast du die neue Schaumbadwerbung gesehen, wo der Mann seiner Frau ein Bad einlässt und dann mit den Kindern in den Park geht, damit sie das Haus für sich hat?«
»Ja, und?«
»Der ist es.«
Einzig Julie schien verwundert. »Du kennst den Mann aus der Werbung?«
Hochzufrieden mit der Entwicklung des Gesprächs, lehnte Rachel sich auf ihrem Stuhl zurück und schmunzelte.
»Nein, ich kenne ihn nicht. Er ist bloß der Typ, den ich heiraten möchte.«
»Aber warum gerade der?«
Samara achtete nicht auf Rachels spöttisches Grinsen und versuchte, ihre Philosophie zu erklären. »Ich habe den idealen Mann im Kopf, bin ihm bloß noch nicht begegnet. Aber manchmal sehe ich einen Kerl im Fernsehen oder lese über einen und erkenne Eigenschaften, die ich mir von meinem Mr. Right wünsche.«
Julie nickte. »Das ist doch eigentlich eine ganz gesunde Einstellung.«
Rachel starrte sie entgeistert an. »Das ist ein Witz, oder? Du unterstützt sie auch noch in ihrem Wahn? Du sollst so was doch heilen!«
»Nein, ehrlich, das ist eine ganz gesunde Haltung.« Julie wies zu der überfüllten Bar im Mama Maria’s. »Guckt euch all die Leute an, die nach dem einen besonderen Menschen suchen, mit dem sie ihr Leben verbringen wollen. Die meisten von ihnen haben keinen Schimmer, wonach sie suchen. Samara hingegen hat wenigstens eine klare Vorstellung, was sie will und was nicht.«
Samara nahm einen großen Schluck aus ihrem Glas und freute sich, dass zumindest eine am Tisch ihre Wünsche nicht für absurd hielt. Und sie wusste überdies ganz genau, was sie nicht wollte. Das hatte Samara schmerzlich lernen müssen. Aber sie weigerte sich, über jene erniedrigende Erfahrung nachzudenken.
Das Geräusch brutzelnder Fajitas lenkte sie ab. Samaras Magen grummelte, als das würzige Aroma ihre Sinne kitzelte, und sie blickte sich interessiert um. Hinter dem Kellner zu ihrer Linken verharrte ihr Blick bei einer großen Gestalt in der Ecke, die sie ansah. Bei ausgerechnet dem Mann, dem sie lieber weiträumig aus dem Weg ginge – im Zweifelsfall auch barfuß quer durch den Bundesstaat. Ihr Magen vollführte eine Rückwärtsrolle. Was machte er hier? Und weshalb lag der Ausdruck eines hungrigen Tigers auf seinem viel zu perfekten Gesicht? So hatte er garantiert nicht ausgesehen, als sie ihm das letzte Mal begegnete.
Samara weigerte sich, ihn zu grüßen, und wandte sich rasch ab. Es gab tausend Gründe, weshalb er hier sein könnte, und keiner von ihnen konnte etwas mit ihr zu tun haben. Er hatte ihr unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er mit ihr nichts zu schaffen haben wollte, und Samara wollte ihm unbedingt zeigen, dass es ihr umgekehrt ebenso erging. Deshalb wäre es nett, wenn ihr pochendes Herz und ihr adrenalingefluteter Kreislauf mit spielten. Wider besseres Wissen riskierte sie noch einen Blick. Verdammt, er starrte immer noch herüber!
Seit er die Bar betreten hatte, war es Noah McCall unmöglich, die Augen von Samara abzuwenden. Manche Menschen glühten vor Reinheit und Licht, und für Samara galt das in einem ganz besonderen Maße. Bei dem Gedanken daran, weshalb er hier war, biss Noah die Zähne zusammen. Samara hasste ihn bereits, und seine Bitte um Hilfe würde ihre Meinung über ihn ganz gewiss nicht heben.
Entsprechend war ihm die Entscheidung herzukommen nicht leichtgefallen. Vor allem, da ihm schon allein der
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