Wenn die Schatten dich finden: Thriller (German Edition)
Mitch ein anderes Hilfsmittel aus der Tasche hervor, die Luther ihm im Wagen deponiert hatte. Ein leichtes Gleiten und Rucken, und schon war das Fenster offen. Als Erstes warf Mitch den Beutel hinein, dann kletterte er mit dem Oberkörper voran durch die schmale Öffnung. Leise Flüche entfuhren ihm, als er feststellte, dass er über die Spüle kriechen musste. In Gedanken ganz bei dem, was er für seinen Dreckskerl von Bruder und dessen Schlampe geplant hatte, stieg er in die Spüle und sprang von dort auf den Fußboden.
Er blickte sich in der Küche um und horchte. Kein Geräusch. Möglichst lautlos suchte er das Erdgeschoss und den ersten Stock ab. Keiner zu Hause. Bestens. So konnte er alles vorbereiten. Bald würde es dämmern. Er musste das Haus gründlich kennenlernen, bevor es dunkel wurde. Danach kam der Teil, den Mitch am meisten hasste. Das Warten. Er gähnte ausgiebig. Vielleicht könnte er noch ein Nickerchen einlegen, ehe die Party startete.
Sie war so nett gewesen, vor dem Weggehen die Jalousien zu schließen. Nun konnte Mitch sich frei bewegen, ohne befürchten zu müssen, dass er von draußen gesehen wurde. Keine zehn Minuten dauerte es, dann hatte er das Haus gründlich überprüft. In dieser Zeit fand er gleich mehrere Dinge über Samara Lyons heraus. Erstens, dass sie pedantisch sauber und ordentlich war, was sie in Mitchs Augen als totale Spinnerin auswies. Zweitens, sie lebte allein. Nirgends lagen Männerklamotten herum, und andere Frauenkleidung als in Größe vierunddreißig war auch nicht zu entdecken. Er hatte ganz vergessen, wie mager die Schlampe war. Drittens und letztens, das Mädchen hatte eine verflucht große Familie. Fast an sämtlichen Wänden und auf allen möglichen Flächen hingen und standen gerahmte Fotografien.
Tja, es dürfte einige Leute geben, die um sie trauerten. Mitch lächelte.
»Sind Sie sicher, dass keiner hier war?«
Während beide Officers nickten und erklärten, dass sie gestern am späten Abend die Streife vor Samaras Haus abgelöst hatten und weder ihnen noch den Kollegen irgendetwas aufgefallen war, schaute Noah sich prüfend in der ruhigen Straße um. Kleine ältere Häuser mit sauber gemähten Rasenflächen davor. Riesige Bäume boten Schatten und verliehen dem Ganzen eine altmodische Eleganz. Außerdem waren sie ein ideales Versteck für einen entflohenen Häftling.
»Und noch nichts von der Hauseigentümerin?«
»Nein, Sir. Wir suchen noch nach ihr.«
Er hielt einen Schlüssel in die Höhe, den Eden ihm gestern bei seiner Abreise aus Paris gegeben hatte. »Wären Sie so freundlich, sich mit mir zusammen drinnen umzusehen?«
Das Nicken der beiden nahm Noah kaum wahr, weil er schon auf der Veranda war und die Tür aufschloss. Obgleich er noch nie hier in Samaras neuem Haus gewesen war, holten ihn die Erinnerungen in dem Moment ein, in dem er durch die Haustür trat. Das Wohnzimmermobiliar war noch dasselbe. Unweigerlich dachte Noah daran, wie oft Samara sich auf das Sofa hatte fallen lassen, um schon im nächsten Moment wieder aufzuspringen und irgendetwas zu tun, als könnte sie einfach nicht stillsitzen. Jedes Stück hier erinnerte an sie.
Noah holte tief Luft und machte seinen Rücken gerade. Sentimentalität oder Gefühle würden ihm nicht helfen, Samara oder Mitch zu finden. Seit Jahren setzte Noah auf klare Vernunft, und das durfte sich nicht ändern.
»Sir, sollen wir mit Ihnen zusammen durchs Haus gehen?«
Der junge Cop sah ihn misstrauisch an. Kein Wunder. Nicht genug damit, dass Noah dem Irren, nach dem sie suchten, bis aufs Haar glich, er stand auch noch wie benommen mitten im Zimmer.
»Nein, ich denke, wir teilen uns auf, einverstanden? Ich sehe mich oben um, Sie beide hier unten.«
Wieder nickten beide Männer. Noah wartete ein paar Sekunden, bis er sich überzeugt hatte, dass die zwei nicht nur oberflächlich nachschauten, ob jemand hier gewesen war, sondern auch mögliche Verstecke überprüften, indem sie Wandschränke öffneten und unter den Möbeln nachsahen. Dann ging er nach oben, kam aber nur wenige Minuten später schon wieder herunter. Keine Spur von Mitch oder irgendwelchen ungewöhnlichen Vorkommnissen. Samara hatte das Haus in demselben Zustand verlassen wie früher ihre Wohnung: makellos sauber und erfüllt von ihrem süßen Duft. Diesen Gedanken verdrängte Noah sofort.
»Nichts Außergewöhnliches hier unten?«, fragte Noah die beiden Polizisten.
»Nein, Sir. Wir waren gestern Abend hier drinnen, ehe die andere
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