Wenn Die Seele Verletzt Ist
Dieser neurologische Mißstand ist jedoch nicht gleichbedeutend mit Symptomlosigkeit, denn das Trauma wird in Bildern und Gefühlszuständenneuronal bewahrt (vgl. Fischer, Riedesser, 2003, S. 91f; van der Kolk, 2000, S. 212f, S. 227, S. 239f).
Die Erfahrung hat gezeigt, daß die emotionsgebundene Erinnerung, welche offenbar durch die Amygdala hergestellt wird, bis in die früheste Kindheit zurückgeht und sich dem Bewußtsein zuweilen entzieht (vgl. van der Kolk, 2000, S 239f; S. 244f). Der Satz von Fritz Perls, daß Unterbewußtes wirkt und wirkt, findet also aus neuropathologischer Sicht seine posthume Bestätigung. Der Neokortex, der Sitz des Bewußtseins, kann infolge der traumatischen Überlastung der Amygdala und des Hippocampus nicht mehr kontrollierend eingreifen. Das emotionale Erleben, das Bezeichnen und Bewerten dieser Erfahrung und das Bewußtsein arbeiten nicht mehr zusammen. Aus neuroanatomischer Sicht ist die Verbindung zwischen subkortikalen und kortikalen Funktionen beeinträchtigt (vgl. van der Kolk, 2000, S.236f). Innere Bilder und Gefühle können so die Regie im Organismus übernehmen (vgl. Flashback, Affektlabilität). Daraus entsteht ein emotionaler Kontrollverlust, der bedrohlich erlebt wird.
Letzteres wird nur allzu leicht durch eine aus therapeutischer Sicht zu zeitige Traumakonfrontation hervorgerufen. Außerhalb des Therapiesettings können beliebige Reize als Trigger fungieren.
Man vermutet, daß der Hippocampus bei einer Traumatisierung durch hormonelle Einflüsse geschädigt wird. Dies führt in Extremfällen zu einer Schrumpfung um ein Viertel seines Volumens (vgl. van der Kolk, 2000, S. 214 ff). Eine Beschädigung des Hippocampus führt unter anderem zur emotionalen Enthemmung, so daß sich ein derart Betroffener einem inneren und äußeren Kontrollverlust ausgesetzt sieht, welcher sich zum einen handlungsleitend (jedem Impuls wird gefolgt) und zum anderen gedächtnismindernd (aus Erfahrung wird nicht gelernt) auswirkt. Das Trauma erschafft sich aus neuropathologischer Sicht folglich selbst und wird dennoch dem Bewußtsein als Ursache vorenthalten. Aus psychologischer Sicht ist dieser Prozeß seit langem bekannt und findet hiermit eine wissenschaftliche Ergänzung (vgl. Verdrängung, Abspaltung, Dissoziation).
Heilung ist im Umkehrschluss nur über das Bewußtsein – also über den Neocortex – und dessen erneute Anbindung an Anteile wie die Amygdala und den Hippocampus zu erreichen. Hierbei wird wiederum die Erfahrung
vieler Praktiker bestätigt, daß zunächst Erkenntnisse über die Traumamechanik detailliert erklärt werden müssen. Auf diese Weise wird ein verstandesmäßiger Weg bewußt gebahnt, der zu guter Letzt auch emotional wieder beschritten werden kann. Dies ist natürlich ein erhebliches Wagnis für die Betroffenen, kann doch jedes Gefühl wieder ein unabhängiges Eigenleben entwickeln und die Kontrolle über den Organismus übernehmen. Traumatherapie wandelt also in vielerlei Hinsicht auf einem schmalen Grad zwischen Rückfall und Heilung. Im Hinblick auf eine zu erlangende Kompetenz im Umgang mit Traumatisierten ist es sicher unabdingbar, sich die Sensibilität dieser neurologischen, hormonellen und psychischen Zusammenhänge zu vergegenwärtigen.
Die Gefühle – wie uns die Hormone Achterbahn fahren lassen
Im therapeutischen Kontext ist die Auseinandersetzung mit Gefühlen ein kontroverses Thema. Zum einen sind klare, einigermaßen beschreibbare Gefühle Teil der Heilung. Zum anderen können ungeklärte Emotionswogen sehr behindern und in die Irre führen. Gerade im psychotraumatischen Zusammenhang wird deutlich, wie anfällig unsere Gefühle sind. Aus neurologischer Sicht ist zur Entwicklung eines Gefühls zunächst ein sensorischer Eindruck nötig, daraufhin entsteht eine Emotion, die von einer hormonellen Reaktion begleitet wird und sich ggf. in einer Aktion äußert. Gefühle sind sehr leicht beeinflußbar, auch neurophysiologisch, und dennoch widerstehen sie manchmal felsenfest jeder Vernunft. Hormone spielen eine wichtige Rolle bei der Entstehung von unseren in höchstem Maße subjektiven Gefühlen. Diese Subjektivität ist im Übrigen keineswegs abzuwerten. Subjektive Gefühle können klare, authentische und mit dem Betreffenden im Einklang befindliche Gefühle sein, die zu nachvollziehbaren, angemessenen Handlungen führen. Das Problem bei Traumatisierungen liegt also weniger in der Subjektivität, sondern in der
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