Wenn Die Seele Verletzt Ist
Solche Beziehungen sind häufig sehr intensiv bis dramatisch, dauern aber nicht lange. Die Betroffenen sind verzweifelt, weil sie nicht wissen, was sie immer wieder falsch machen. Menschen mit Borderline-Syndrom haben häufig einen desorientierten Bindungsstil.
Bindungsstörungen kommen vor allem bei den unsicher vermeidenden, den unsicher ambivalenten und natürlich den desorientierten Bindungsstilen vor. Menschen, die an sogenannten „Persönlichkeitsstörungen“ leiden, haben vor allem diese Bindungsmuster gelernt. Die Ursache für Bindungs- und Persönlichkeitsstörungen ist bei mehr als 80% aller Betroffenen in einer traumatischen Kindheit zu finden. Deshalb wollen wir uns in den folgenden Kapiteln genauer mit den vier häufigsten Risikofaktoren auseinandersetzen, die bei den betroffenen Kindern zu Bindungs- und Persönlichkeitsstörungen und zu Symptomen führen können: mit Vernachlässigung, mit körperlicher und seelischer Mißhandlung und mit sexuellem Mißbrauch.
Neuropathologie und Trauma
von Volkmar Suhr
Glaubt man dem Traumaforscher und Biologen Peter Levine, ist der Körper selbst ein Heiler, ein Wunder. Der Körper verleiht uns Sinne und gibt uns ein Zuhause. Es gibt unendlich viel Genußvolles, Kraftvolles und Vitales, was uns Körperlichkeit bescheren kann. Darüber hinaus ist der Körper schließlich unser Vehikel zur Kreativität, zur Manifestation unserer Ideen, Wünsche und Träume – eine Art Hardware eben. Die Mannigfaltigkeit und das Potential unseres Leibes bricht sich in unzähligen Funktionen Bahn: tasten, schmecken, riechen, sehen, hören, bewegen, zielgerichtet handeln, tanzen, lachen, sprechen, weinen, sich erinnern können, vergessen können, Sinneseindrücke unterscheiden, sich wehren und sich selbst heilen (Immunsystem) und noch so vieles mehr.
Traumata wirken leider auch hier sehr zerstörerisch. Gemäß Levine ist es jedoch unser Geburtsrecht, ein freudvolles Verhältnis zu unserem Körper zu haben. Ein Zustand, den er trotz Traumatisierung für wieder herstellbar hält. Hierzu sei das Miteinbeziehen neurobiologischer Zusammenhänge unverzichtbar (vgl. Levine, 1998, S. 24 ff). Diese Sichtweise machte Levine zu einem Pionier in der hirnphysiologisch-orientierten Traumatherapie. Ich beschränke mich jedoch nicht auf den Ansatz von Peter Levine, gibt es doch inzwischen eine Vielzahl von Forschungsergebnissen, welche die bisherige Traumatherapie wissenschaftlich – nahezu posthum – begründen und erweitern. Die Überschneidungen von psychologischen Mustern einerseits und der pathologischen Veränderungen im Nervensystem andererseits sind zuweilen erstaunlich und belegen bereits jetzt eines: Die Funktion unserer Zellen ist tief mit unserer Psyche und mit unserem Erleben verwoben.
Wenn im Zusammenhang mit Traumatisierungen von körperlichen Verletzungen die Rede ist, so zumeist von sichtbaren Wunden infolge von Unfällen, Gewalttaten oder sexuellen Übergriffen. Die Palette der Verletzungen ist endlos und zum Teil fast unbeschreiblich, obgleich diese offensichtlichen Verletzungen am schnellsten zu kurieren sind.
Die psychischen, seelischen Wunden, die zur Heilung so viel mehr Aufmerksamkeit fordern, werden zwar im Zusammenhang mit physischen
Verletzungen betrachtet, die neuropathologische Tiefe jedoch blieb über viele Jahre hinweg verborgen. Die Psychosomatik, welche die Zusammengehörigkeit von Körper und Psyche zu erläutern versucht, ging diesen Komplex vornehmlich psychologisch an. Die Erkenntnisse auf diesem Gebiet sind großartig und seit Jahrzehnten in der Therapie Traumatisierter unverzichtbar. Dennoch: Aus Mangel an diagnostischen Methoden wurden die neurobiologischen Vorgänge kaum berücksichtigt. Durch aktuelle Forschungen kann nunmehr wenigstens in Ansätzen belegt werden, welch wichtige Rolle neuronale und hormonelle Veränderungen beim Entwickeln und Auftreten von traumaspezifischen Symptomen spielen.
Glücklicherweise hört man von vielen Praktikern, daß sie sich in ihrer Arbeit mit traumatisierten Patienten und in ihrer bisherigen Herangehensweise durch die Hirnforschung bestätigt sehen. Viele nehmen sie in ihre Betrachtungen erweiternd mit auf, ist das Phänomen Trauma doch wieder ein Stück verständlicher geworden.
Seit etwa Mitte der neunziger Jahre rücken die Veränderungen des Zentralen Nervensystems bei einer Traumatisierung vermehrt ins Blickfeld. Durch die Verbesserung der Diagnostik kann die Aktivität
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