Wenn die Sinne erwachen - Teil 2 (German Edition)
fühlte sich furchtbar und so erbärmlich
wie an jenem Tag, als er zum ersten Mal im Leben einen anderen
Menschen getötet hatte. Damals war er siebzehn gewesen und die Royal
Sun hatte britischen Handelsschiffen Geleitschutz in der Karibik
gegeben, als sie von spanischen Kaperern angegriffen worden waren. Er
hatte sich zunächst feige in einer der Seilluken verkrochen und war
dort von einem spanischen Freibeuter entdeckt worden. Notgedrungen
hatte er sich dem Spanier zum Kampf gestellt, war diesem mit dem
Degen sogar haushoch überlegen gewesen, aber er hatte es einfach
nicht über sich gebracht, den Mann zu töten. Bis er John Withcomb
hinter sich brüllen hörte: „Verdammt töte, wenn du leben
willst!“
Als Withcomb bemerkte, dass Edan den Spanier nicht
töten konnte, war er zu ihm geeilt, hatte Edans Hand genommen und
den darin befindlichen Degen mit Nachdruck in das Fleisch des am
Boden liegenden Spaniers gebohrt. Butterweich und ohne jeglichen
Widerstand, war Edans Degen in den Körper des Freibeuters
eingedrungen, hatte dessen Herz durchbohrt und für immer zum
Schweigen gebracht. Doch nicht das war es, was sich so unauslöschlich
in Edans Seele eingebrannt hatte, sondern der Ausdruck in den Augen
des Spaniers, im Moment des Sterbens. Es war derselbe Blick, den er
auch bei anderen Männern gesehen hatte, die er in späteren Kämpfen
getötet hatte. Nachts in seinen Träumen, suchten ihn diese Blicke,
aus ungläubigen und schreckgeweiteten Augen, immer wieder heim. Es
waren so viele dieser Blicke, dass er sie längst nicht mehr zählen
konnte. Er wußte, dass er nicht der Einzige an Bord war, der unter
diesen Alpträumen litt. Nachts, wenn er nicht schlafen konnte und an
Deck spazieren ging, hörte er manchmal Schreie, die seinen ähnelten,
wenn er aus seinen Alpträumen aufschreckte. Vermutlich hatten alle
Soldaten früher oder später diese schrecklichen nächtlichen
Erlebnisse. Aber niemand sprach darüber.
Edan schaute auf das
untere Deck, auf dem sich die Offiziere langsam versammelten. Sie
warteten auf sein Zeichen. Ihm lief die Zeit davon und er wußte
nicht, was zu tun war. Zum ersten Mal seit langem, fühlte er sich
nur so alt, wie er tatsächlich war – einundzwanzig Jahre. Die
ganzen harten Erfahrungen, die er in den vergangenen fünf Jahren
gesammelt hatte, reichten nicht aus, um ihm in dieser Situation zu
helfen. Er wünschte sich zutiefst, Georg Flack, sein langjähriger
Mentor stünde jetzt neben ihm und würde ihm sagen, was er tun
sollte.
„Wir brauchen die Waffen, Edan!“ Thomas Slades
belegte Stimme riss Edan aus seinen Gedanken. Sein bester Freund
stand vor ihm und schaute ihn mit Augen an, die nur allzu genau
verrieten, wie es in ihm aussah.
„Hölle – ich fühle mich
furchtbar!“, sprach Slade aus, was alle dachten.
Edan
schloss nachdenklich die Waffenkisten auf und gab jedem Offizier eine
Perkussionspistole, Zündhüte und einen Degen. Dabei schaute er
jedem eindringlich in die Augen. Jeder der Männer verstand Edans
unausgesprochene Frage. Doch von zwanzig Offizieren, senkten achtzehn
den Blick und schauten zur Seite. Damit war Edan klar, dass eine
Meuterei für sie nicht in Frage kam. Die achtzehn Offiziere würden
lieber Picketts Befehl ausführen, als vogelfrei zu sein. Damit blieb
ihm keine andere Wahl.
„Es sind neunundfünfzig Kranke!“,
sagte er mit heiserer Stimme. „ Auf jeden von uns kommen damit drei
Mann!“
Mit
versteinertem Gesicht teilte Edan jedem der Männer einen bestimmten
Bereich zu. Geschlossen gingen sie langsam in Richtung
Quarantäne-Station. Keiner sprach ein Wort. Eine unwirkliche Stille
lag über dem Schiff. Selbst von der eingesperrten Mannschaft unter
Deck war nicht ein Mucks zu hören, obwohl sie mit Sicherheit längst
wussten, was die Stunde geschlagen hatte und bestimmt angestrengt
lauschten.
Edan
hatte das Gefühl, als ob jemand seine Schuhe mit Blei beschwert
hätte. Je näher sie der Absperrung kamen, umso stärker wurde nicht
nur der Geruch von Fäkalien und Erbrochenem, sondern auch der Hauch
des Todes, der bereits über den Kranken schwebte. Edan hielt nach
dem Doktor und den Pflegern Ausschau – doch keiner von ihnen war zu
sehen. Er gab seinen Männern ein Zeichen sich aufzuteilen und durch
die Reihen der Kranken zu gehen. Langsam wanderte sein Blick über
die verstreut am Boden liegenden Männer. Leises Wimmern und Stöhnen,
waren die einzigen Geräusche, die an sein Ohr drangen. Der Gestank
war unerträglich. Edan zog den Kragen
Weitere Kostenlose Bücher