Wenn die Sinne erwachen - Teil 2 (German Edition)
seines Uniformrocks über die
Nase, und stieg langsam über die Kranken hinweg. Die meisten der
Männer lagen völlig apathisch da, nur einige wenige wurden von
Bauchkrämpfen geschüttelt. Ihr schmerzersticktes Stöhnen zerrte an
seinen Nerven. Edan sah in ihre durch den Wassermangel eingefallenen
Gesichter, ihre Augen lagen tief in den Höhlen, viele der Kranken
waren bereits weggetreten und in einer Art Delirium. Ihre Blicke
waren geistesabwesend in die Ferne gerichtet. Sie nahmen Edan und die
anderen bewaffneten Offiziere offenbar gar nicht wahr, geschweige
denn deren schreckliche Absichten.
Als
der erste Schuss durch die angespannte Stille peitschte, zuckte Edan
erschrocken zusammen. Bei Schuss zwei und drei zog sich sein Magen
schmerzhaft zusammen. Alarmiert sah sich Edan um. Er rechnete damit,
dass die Kranken versuchen würden, zu fliehen, sobald sie die
Situation erkannten. Doch nichts hatte sich verändert. Er sah
niemanden weglaufen, wegkriechen oder sich in irgendeiner Form zu
wehren. Außer diesem leisen, jämmerlichen Wimmern und Stöhnen war
nichts zu hören. Wieder ertönten drei Schüsse und wieder gab es
keinen empörten Aufschrei seitens der Kranken. Mit jedem Schuss
wurde Edan sich der Grausamkeit der Tat bewusst und dennoch zwang er
sich weiter in Richtung Bug zu gehen. Wieder fielen Schüsse – und
wieder gab es keinen Aufschrei.
Eine Hand streifte Edans Bein und
hielt es fest. Er schaute hinunter. Leyton Jackson, der Schiffsarzt,
lag zusammengekrümmt auf einem völlig verdreckten Laken und hielt
sich den schmerzenden Leib. Mit letzter Kraft winkte er Edan zu sich
herab. Edan zog seinen Uniformkragen etwas höher über Mund und
Nase, bevor er sein Ohr zu dem zusammengekauerten Arzt
hinunterbeugte.
„Der Teufel … soll euch Meuchelmörder
holen!“, hauchte der Arzt mit letzter Kraft. „Ich erwarte euch …
in der Hölle!“ Edan richtete sich auf und sah, wie die Augen des
Arztes langsam zu brechen begannen. Er schämte sich nicht für die
Erleichterung, die ihn beim Tod des Arztes durchströmte. Dies war
ein Mann weniger, an dem er sich schuldig machen würde.
Wieder
wurde geschossen, dieses Mal schneller und entschlossener. Die
anderen wollten es offenbar so schnell wie möglich hinter sich
bringen. Edan hatte den Schiffsbug erreicht und wusste, dass er jetzt
ebenfalls am Zug war. Als er den ersten Kranken zu sich umdrehte,
erschrak er über dessen kalte Haut, bis er registrierte, dass der
Mann vor ihm, bereits tot war. Erneut durchströmte ihn das Gefühl
großer Erleichterung. Er stieg über den Mann hinweg und beugte sich
über den nächsten. Es war einer der Strafgefangenen, die er Tage
zuvor als Pfleger in die Quarantäne-Station geschickt hatte. Edan
schluckte hart. Dieser Mann lebte noch und wenn er ihn jetzt
erschoss, würde er ihn zum zweiten Mal in den Tod schicken. Der Mann
brabbelte wirres Zeug vor sich hin und schien Edan überhaupt nicht
wahrzunehmen. Ein seltsam entrücktes Lächeln lag auf seinem
Gesicht. Mit zitternden Händen legte Edan das Zündhütchen unter
den Schlagbolzen seiner Pistole und zwang sich, dem Mann die Pistole
an die Schläfe zu halten. Er schluckte hart und zögerte. Zum
hundertsten Mal verfluchte er die Royal Navy, den Krieg, Pickett und
am allermeisten sich selbst!
Er
wußte, er musste es hinter sich bringen. Je eher, desto besser. Er
würgte die Übelkeit hinunter, die ihm die Kehle zuschnürte,
schloss die Augen, krümmte seinen Finger und zwang sich mit aller
Macht abzudrücken. Der Knall schmerzte in seinen Ohren und bohrte
sich wie ein riesiger Pfahl in seine Seele. Warme Feuchtigkeit
benetzte sein Gesicht und als er sie instinktiv mit dem Ärmel
abwischte, war dieser mit einer roten, gallertartigen Flüssigkeit
überzogen. Es schüttelte ihn von innen heraus und im selben Moment
spürte er, wie irgendetwas Eiskaltes nach ihm griff. Dieses Etwas
ließ ihn innerlich regelrecht erstarren. Er konnte seinen Herzschlag
nicht mehr spüren. Ein eisiger Hauch überzog ihn und er fühlte,
wie er sich von sich selbst zu distanzieren begann, so, als würde er
aus sich heraustreten, ein paar Schritte zurückweichen, um sich
selbst zu beobachten. Edan schloß die Augen und schüttelte
ungläubig seinen Kopf, vielleicht war ihm die Hitze zu Kopf
gestiegen – doch als er die Augen wieder öffnete, sah er, dass er
sich selbst dabei beobachtete, wie er vor einem Toten kniete und
dessen Augen zudrückte. Ungläubig sah er von sich zu dem anderen
Edan und
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