Wenn Die Wahrheit Stirbt
geheimnisvolle Schwarze-Sieben- Faktor?« Melody hatte die Geschichten von Enid Blyton als Kind verschlungen.
»Ja, davon träumt doch jeder Erwachsene«, meinte Ivan. »Eine Art Geheimclub für die Großen. Denkst du denn, dass dieser Club in irgendetwas Fragwürdiges verwickelt ist?«
»Dafür gibt es keine Anhaltspunkte.« Schon wünschte Melody sich, sie hätte sich jede Erklärung gespart. Wenn ihr Vater einmal Witterung aufgenommen hatte, war er wie ein Bluthund.
Sie loggte sich aus dem Online-Archiv aus. Gerne hätte sie sich den Artikel ausgedruckt, den sie gefunden hatte, aber sie wollte das Interesse ihres Vaters nicht noch weiter schüren.
»Danke, Dad«, sagte sie, als sie aufstand. »Ich muss jetzt los.«
»Warum bleibst du nicht noch ein bisschen? Ich bin nur noch mal hergekommen, um mir den morgigen Aufmacher anzuschauen. Wir könnten noch auf ein Glas Wein in dieses Café in der Abingdon Street gehen, das du so magst.«
Melody griff nach ihrer Einkaufstüte vom Naturkost-Supermarkt. »Tut mir leid, Dad. Ich habe schon etwas zum Abendessen gekauft, das verdirbt sonst.« Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange, die auch zu dieser späten Stunde noch glatt wie ein Babypopo war. Vor Jahren hatte sie entdeckt, dass er in seiner Schreibtischschublade einen Rasierapparat aufbewahrte. Der Stoppellook kam für Ivan Talbot nicht in Frage. Dort, wo er aufgewachsen war, in einem Arbeiterviertel von Newcastle, liefen nur Arme und Alkoholiker unrasiert herum.
»Deine Mutter erwartet dich am Sonntag«, sagte er, als sie bereits an der Tür war.
»Ich weiß. Ich werde dort sein.« Sie drehte sich um und warf ihm einen strengen Blick zu. »Aber diesmal bitte keine Blind Dates, Dad.«
»Das war Melody.« Gemma zögerte. »Ich glaube, ich hätte doch gern ein Glas Wein - wärst du so nett? Ich habe ihn gleich in den Kühlschrank gestellt, als ich nach Hause kam.« Auf dem Rückweg von Spitalfields hatte sie noch rasch Aufschnitt, Salate und eine Flasche Wein gekauft. Zu Hause hatte sie als Erstes die Arbeitsklamotten ausgezogen und war in Shorts und ein ärmelloses Top geschlüpft.
Während Kincaid in die Küche ging, improvisierte Gemma noch ein wenig auf dem Klavier und stellte irgendwann fest, dass sie »Kip’s Lights« spielte, aus Gabriel Yareds Filmmusik zu Der englische Patient. Es war eines ihrer bevorzugten Stücke, wenn sie nachdenken wollte, und eine gute Übung für ihre eingerosteten Finger.
Zwar hatte sie Kincaid von ihrem Besuch bei Gail Gilles erzählt, aber dann hatten das Abendessen und die Kinder sie vollkommen in Anspruch genommen, und sie war nicht mehr dazu gekommen, ihren ungeplanten Besuch bei Lucas Ritchie zu erwähnen. Jetzt allerdings waren die Jungs oben in ihren Zimmern, und sie hatte keine Ausrede mehr - sie musste es ihm sagen.
»Die Stelle mag ich besonders«, sagte Duncan, als er mit ihrem Glas zurückkam. Er berührte ihren bloßen Arm mit den Fingerspitzen, die von der Weinflasche ganz kalt waren. »Kannst du gleichzeitig spielen und reden?«
Jetzt ließ es sich nicht mehr aufschieben. Gemma stärkte sich noch mit einem Schluck von dem Pouilly-Fumé, den sie im Regal mit den Sonderangeboten gefunden hatte, und drehte sich auf der Bank halb um, sodass sie ihm ins Gesicht sehen konnte. »Ich habe mich heute mit Melody in Spitalfields getroffen. Wir haben im Markt etwas gegessen, und anschließend sind wir zu Fuß zu Lucas Ritchies Club gegangen. Ich dachte mir, er wüsste vielleicht mehr über Sandra, als er dir erzählt hat. Und ich war neugierig.« Bevor er sie unterbrechen konnte, fügte sie hinzu: »Ich habe mich vorgestellt, aber dazugesagt, dass ich nicht in offizieller Funktion dort sei. Ich habe mehr oder weniger so getan, als ob ich dich überhaupt nicht kenne.«
»Dafür sollte ich dir wohl danken.« Sein Blick wurde ein wenig bohrender. »Und jetzt sag mir noch mal, wie du ihn ausfindig gemacht hast?«
»Über Pippa Nightingale. Sie sagte, sie habe das mit Naz von Lucas erfahren.«
»Okay.« Er dachte einen Moment darüber nach, während er einen Schluck Bier trank. »Und hast du mit deinem Charme bei Mr. Ritchie mehr erreicht als ich mit meinem?«
»Wenn du mich fragst, ist er aalglatt«, gab Gemma zu, »aber er war durchaus bereit zu reden. Ich hatte den Eindruck, dass er und Sandra ein Paar waren, bevor sie Naz kennenlernte, obwohl
er das nie ausdrücklich zugegeben hat. Er erzählte mir aber, dass er in der ersten Zeit, als sie mit Naz zusammen war,
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