Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wenn Die Wahrheit Stirbt

Titel: Wenn Die Wahrheit Stirbt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie , Andreas Jäger
Vom Netzwerk:
auch hier gearbeitet. Sie war wirklich geschickt darin, die Frauen zum Reden zu bringen. Sie haben ihr eben vertraut. Sie hat immer gesagt, die Frauen brauchen eine Stimme, nicht?«
    Stimmen und Gesichter, dachte Gemma. Sie studierte die Collagen. In der einen waren andeutungsweise Läden in einer verfallenen Straße zu erkennen, mit bunten Stoffballen in den Fenstern. Frauen in wehenden Saris und Kopftüchern aus Seide drängten sich in den Eingängen wie leuchtende Juwelen. Im Hintergrund ragte die inzwischen vertraute Silhouette des »Gherkin«, des Wolkenkratzers der Swiss Re, wie eine Rakete in den Himmel.
    Die andere Collage war düsterer, die Atmosphäre eher georgianisch.
Die Kleider der Frauen waren mit Stofffetzen aus Seide und Spitze angedeutet, und sie schienen alle mit verschiedenen körperlichen Arbeiten beschäftigt zu sein. Eine schrubbte die Stufen vor ihrer Haustür, eine zweite hängte Wäschestücke auf, und durch ein Speicherfenster war eine dritte zu erkennen, die an einem Webstuhl arbeitete. Und dazwischen waren überall kleine Papierfetzen eingearbeitet, beschrieben mit verlaufener Tinte, und Bruchstücke alter, vergilbter Landkarten.
    Ohne den Blick von den Collagen zu wenden, fragte sie: »Was bedeuten diese Bilder?«
    »Das hat sie nicht verraten wollen. Sie meinte immer, es ginge darum, dass jedes Bild eine Geschichte erzählt, ihr selbst und den Betrachtern, aber jeder würde sie auf seine eigene Weise hören. Es sei für jeden etwas anderes.«
    Gemma hörte das Zittern in Alias Stimme und drehte sich um. Die Augen der jungen Frau waren gerötet. »Sie vermissen sie, nicht wahr?«, fragte sie mit sanfter Stimme.
    »Ich dachte, dass sie wiederkommen würde, wissen Sie? Sie sagte, ich könnte alles machen, alles werden, was ich wollte, und ich habe ihr geglaubt. Aber jetzt …« Sie schüttelte den Kopf. »Es stimmt nicht, oder? - Sie ist weg, also stimmt das alles nicht.«
    Alia schien abgenommen zu haben, seit Gemma sie vor nicht einmal zwei Wochen das letzte Mal gesehen hatte, und sie hatte dunkle Schatten unter den Augen.
    Gemma ließ sich von einer Intuition leiten. Sie setzte sich auf den Stuhl gegenüber dem Empfang, sodass sie nahe bei Alia und auf gleicher Augenhöhe mit ihr war. »Alia, Sie wussten von Sandras Brüdern und dieser Drogengeschichte. Was haben Sie sonst noch mitbekommen?«
    Die Reaktion der jungen Frau war unmittelbar. Sie riss die Augen auf, ihre Pupillen weiteten sich, und ihre Kiefermuskeln spannten sich an. »Gar nix«, sagte sie mit plötzlich ausgeprägterem Londoner Akzent. »Keine Ahnung, wovon Sie reden.«

    Gemma rückte ihren Stuhl ein wenig näher. »Sie können ruhig mit mir reden. Ich werde Ihren Eltern nichts sagen.«
    »Wenn mein Dad wüsste, dass ich hier bin, würde er mich umbringen.« Alia schielte verstohlen zur Tür. »Der einzige Grund, warum die Frauen, die hierherkommen, nichts weitererzählen, ist, dass sie selber nicht wollen, dass jemand erfährt, dass sie hier waren.«
    »Ich habe gesehen, dass hier ganz in der Nähe ein Café ist. Kommen Sie, ich lade Sie zu einem -«
    »Ich kann nicht weg. Das Mädchen, das normalerweise den Empfang macht, ist in der Mittagspause und die Ärztin auch. Aber es muss ja immer jemand hier sein, wegen der Medikamente und so.«
    »Na, das ist doch ideal. Dann sind wir zwei ja unter uns. Wir können uns in Ruhe unterhalten, bis sie zurück sind. Ist denn nur eine Ärztin hier?«
    »Im Grunde ja, im Dienst ist immer nur eine Ärztin, Miss. Er kommt nie her, um mit den Klientinnen zu sprechen. Er hat nur die Oberaufsicht, sozusagen.«
    »Er?«
    »Mr. Miles. Aber es ist sein eigenes Geld, das den Laden am Laufen hält.« In ihrer Stimme schwang etwas von bewunderndem Respekt. »Wir beraten Frauen zu Empfängnisverhütung, Geschlechtskrankheiten und so weiter, und sagen ihnen, was sie tun müssen, wenn sie schwanger sind.« Jetzt bewegte sie sich wieder auf vertrauterem Grund, und ihre Stimme klang nicht mehr so angespannt, wenngleich sie über diese Themen mit einstudierter Beiläufigkeit sprach, als hätte sie geübt.
    »Das ist ja wunderbar, Alia. Jetzt verstehe ich, warum Sandra diese Beratungsstelle so wichtig war. Aber Sie waren sehr gut mit ihr befreundet, nicht wahr? Sie hat Ihnen Dinge erzählt, die sie sonst keinem Menschen anvertraut hat. Sie hätten es sicher gewusst, wenn irgendetwas sie bedrückt hätte.«

    Gemma konnte an Alias Miene sehen, dass sie schwankte, und wartete bewusst ab. Das Mädchen

Weitere Kostenlose Bücher