Wenn Die Wahrheit Stirbt
hat. Das ist genau die Art von Geheimniskrämerei, die so einen kleinen Schnösel wie Truman reizen würde, und wenn Truman Sandras Arbeiten gekauft hat, dann bestimmt, weil Lucas sie im Club ausgestellt hatte. John Truman hat sich nie auf seinen eigenen Geschmack verlassen - er hat nur dort gekauft, wo jemand, den er für wichtig hielt, zuvor schon gekauft hatte.«
»Halten Sie es für wahrscheinlich, dass Naz Malik Truman gekannt hat?«
»Jedenfalls nicht privat, falls Sie das meinen. Wenn er Sandra etwas abgekauft hat, dann könnte er auch Naz irgendwann begegnet sein, obwohl Sandra immer sehr darauf geachtet hat, Arbeit und Privatleben getrennt zu halten.« Pippa wandte sich um, und die Wut, die Gemma hatte aufblitzen sehen, war Belustigung gewichen. »Sie könnten ja Lucas fragen.«
Gemma wusste, dass ihr hier irgendetwas entging - irgendein
Spiel zwischen Pippa und Lucas Ritchie, das sie nicht verstand, doch sie vermutete, dass es dabei um Sandra ging. »Ich denke, es wäre besser, wenn ich John Truman frage«, sagte sie. »Wissen Sie, wo ich ihn finden kann?«
»In Hoxton. Seine Praxis ist nicht weit vom Square, und er wohnt direkt darüber.« Sie ging in ihr Büro zurück, sah in einer Kartei nach und schrieb eine Adresse auf einen Notizzettel mit dem aufgedruckten Namen der Galerie.
Gemma nahm den Zettel und studierte ihn, während sie den Stadtplan in ihrem Kopf konsultierte. »Das ist ja ganz in der Nähe.«
»O ja«, sagte Pippa. »Ein georgianisches Haus, wie das von Sandra, aber total verpfuscht. Ich glaube kaum, dass Truman vom Gedanken an die hugenottischen Seidenweber inspiriert war.«
Gemma dankte ihr und wandte sich zum Gehen, doch als sie den Treppenabsatz erreichte, drehte sie sich noch einmal um. »Sagen Sie, ich habe den Eindruck, dass Sie sehr wütend auf Lucas sind. Werden Sie Freunde bleiben?«
Pippa lächelte. »Wenn Sie es so nennen wollen. Er kommt immer wieder zu mir zurück.«
Gemma blieb auf dem Gehsteig direkt vor dem Eingang der Galerie stehen und zog ihr Handy aus der Tasche, um Kincaid anzurufen. Er würde diesem John Truman einen offiziellen Besuch abstatten müssen. Gemma war so weit gegangen, wie sie es eben wagen konnte. Jede weitere Aktivität ihrerseits wäre schon eine ernsthafte Einmischung in eine Ermittlung von Scotland Yard gewesen.
Aber dann dachte sie an die Konsequenzen ihres Gesprächs mit Pippa, und sie hielt mit dem Finger über dem Tastenfeld inne. War es vielleicht nicht deswegen zum Zerwürfnis zwischen Sandra und Pippa gekommen, weil Pippa die Art und
Weise missbilligte, wie Sandra ihr Werk vermarktete, sondern vielmehr, weil ihre lange schwelenden Eifersüchteleien um Lucas Ritchie sich plötzlich dramatisch zugespitzt hatten?
War Sandra an dem bewussten Tag von der Columbia Road hierhergekommen? Hatte Pippa vielleicht irgendetwas zu ihr gesagt, aus reiner Boshaftigkeit, was Sandra veranlasst hatte davonzulaufen? Oder war es zu einem Streit gekommen, in dessen Verlauf Pippa Sandra getötet hatte?
Zwar hätte Gemma nach ihrem ersten Besuch schwören können, dass Pippas Schmerz um Sandras Verschwinden echt war, doch es war gewiss eine komplizierte Beziehung, die die beiden verbunden hatte, und Liebe und Eifersucht hatten schon ganz andere Blüten getrieben. Aber selbst wenn die zierliche Pippa es fertiggebracht hätte, Sandra zu töten, hätte sie auch ihre Leiche beseitigen können - und das so gründlich, dass sie bis heute nicht gefunden worden war? Und könnte sie auch Naz Malik auf dem Gewissen haben? Denn Gemma war sich inzwischen hundertprozentig sicher, dass es eine Verbindung zwischen Sandras Verschwinden und dem Mord an Naz gab.
Sie schüttelte den Kopf und starrte geistesabwesend auf den Eingang der Rivington-Street-Beratungsstelle ein paar Häuser weiter. Nein, sie spann sich da irgendwelche Theorien zusammen, die kritischer Betrachtung nicht standhalten würden. Pippas kleine Demonstration von Boshaftigkeit war gegen Lucas gerichtet gewesen, nicht gegen Sandra. Truman, der Tierarzt, der Sandra höchstwahrscheinlich gekannt und jederzeit Zugang zu dem Ketamin hatte, das in Naz Maliks Körper gefunden worden war, schien da ein aussichtsreicherer Kandidat zu sein.Vielleicht -
Gemmas Überlegungen wurden jäh unterbrochen. Eine junge Frau in Jeans und T-Shirt, das dunkle Haar locker zum Pferdeschwanz gebunden, war vor der Beratungsstelle stehen geblieben und hatte verstohlen die Straße hinauf- und hinuntergeblickt,
ehe sie im Haus
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