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Wenn Die Wahrheit Stirbt

Titel: Wenn Die Wahrheit Stirbt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie , Andreas Jäger
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hinweggezogen waren. Die Erinnerungen verwoben sich mit seinen Gedanken - Küchendüfte, vermischt mit warmen, erdigen Bauernhofgerüchen; das Licht, das stets diesen grünlichen Stich hatte; die Luft zäh wie Sirup. Eine Luft, so schwer, dass sie auf seinen Brustkorb drückte … Er öffnete den Mund, um tief einzuatmen, versuchte seine Lunge zu dehnen, und die Anstrengung brachte ihn noch einmal an den Rand des Bewusstseins.
    Die schwache Erinnerung an den Schmerz ließ ihn die Augen fest geschlossen halten, und er begann wieder wegzudriften.
    Dann plötzlich eine Bewegung. Hände zerrten an ihm, jemand ächzte vor Anstrengung. Alles drehte sich, und seine Arme griffen ins Leere, als die Hände ihn packten und hochzogen. Er zwang sich, die Augen zu öffnen, doch von der Bewegung wurde ihm schlecht, und er sah nur vorbeihuschende, wirbelnde Schatten, die er nicht zu fassen bekam. Seine Brille - was war mit seiner Brille passiert?
    Er befühlte sein Gesicht, doch eine Stimme, die ihm irgendwie bekannt vorkam, befahl ihm weiterzugehen. Er strauchelte - die Verbindung zwischen seinen Füßen und seinem Gehirn schien unterbrochen -, doch die Hände und die Stimme trieben ihn an.

    Dann ein Klicken, und die Luft fühlte sich anders an - frischer, feuchter -, plötzlich wusste er, dass er im Freien war, obwohl ihm vorher nicht bewusst gewesen war, dass er in einem geschlossenen Raum war.
    Der stechende Geruch von Benzinabgasen stieg ihm in die Nase. Er hörte gedämpfte Verkehrsgeräusche, sah vorbeiziehende Lichtpunkte. Dann stieß die Hand ihn nach unten, er schlug mit der Stirn gegen etwas Hartes, und die Dunkelheit senkte sich auf ihn herab.
    Als er wieder zu sich kam, war er in Bewegung; angetrieben von einem Arm, der sich um seine Schulter legte, stolperte er widerstrebend vor sich hin. Es war dunkel, stockdunkel. Etwas Raues, Stachliges zerkratzte ihm das Gesicht, und als er eine Hand an die Wange hob, war sie nass. Dann fiel er vornüber, und der Geruch der warmen Erde stieg auf, um ihn in Empfang zu nehmen.

7
    Zu bestimmten Zeiten war es so ruhig, dass ich den Ruf zum Gebet von der East-End-Moschee in der Whitechapel Road hören konnte und das Rattern der U-Bahnen, die durch den Bahnhof Shoreditch fuhren. Die Sonntagmorgen waren geprägt vom fernen Läuten der Kirchenglocken und dem Musicbox-Gedudel der fahrenden Eisverkäufer. Aus den Hinterhöfen der Curryrestaurants drangen indische Kochdüfte, und wenn der Wind entsprechend stand, auch das süße Aroma frischer Bagels aus den Bäckereien.
    Tarquin Hall, Salaam Brick Lane
     
     
    Am Sonntagmorgen erwachte Gemma unausgeschlafen und mit Kopfschmerzen, nachdem sie sich in der Nacht stundenlang hin und her gewälzt hatte. Nach einem Streit mit Duncan war sie mit Wut im Bauch ins Bett gegangen - etwas, was ihr stets zuwider war, selbst wenn der Anlass ganz banal war. Aber das hier war viel schlimmer gewesen als eine Meinungsverschiedenheit über den Haushalt oder die Arbeit. Als er ihr von Cyns Anruf erzählt hatte, war sie regelrecht ausgerastet, und von ihrem heftigen Wutanfall hatte sie noch lange danach am ganzen Leib gezittert.
    Er hatte mit aufreizender Logik erwidert, sie hätte ja doch nichts tun können, selbst wenn er es ihr früher gesagt hätte. Sie war zu dem Zeitpunkt in Spitalfields gewesen, ohne Auto, und selbst wenn sie von der Liverpool Street mit der U-Bahn nach
Leyton gefahren wäre, was dann? Ihre Mutter wäre im Bett gewesen, ihr Vater erschöpft, und beide hätten sich nicht über ihren Besuch freuen können.
    Sie wusste, dass er recht hatte, aber übergangen fühlte sie sich trotzdem. Als er sie fragte, was denn in der Brick Lane passiert sei, hatte sie nur knapp geantwortet: »Ist’ne lange Geschichte«, und war nach oben gegangen, um nach den Kindern zu sehen. Toby schlief schon, und Kit schrieb SMS auf dem Handy, das er zum Geburtstag bekommen hatte - sie hätte schwören können, dass das Ding inzwischen fest mit seinen Daumen verwachsen war.
    Aber nachdem sie eine Weile mit sich allein gewesen war, begann ihr Zorn sich zu legen. Sie fühlte sich verschwitzt und staubig, und so warf sie zuerst einmal all ihre Sachen auf einen Haufen und ließ sich ein heißes Bad ein. Das Fenster stand offen, und ab und zu wehte eine leichte Brise Geräusche aus dem Garten herein. Sie fand es erstaunlich, wie still London abseits der Hauptverkehrsstraßen sein konnte - doch wenn sie sehr aufmerksam lauschte, konnte sie das leise Hintergrundraunen der

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