Wenn Die Wahrheit Stirbt
hier, oder?«
Charlotte schob ihre Spulenstapel ein wenig dichter zusammen und schüttelte den Kopf. »Nein«, antwortete sie so sachlich, als hätte Gemma sie nach dem Wetter gefragt. »Papi ist Mami suchen gegangen.«
Weller hatte immer den Eindruck, dass alle Krankenhäuser von einem permanenten Summen erfüllt waren. Selbst hier im Untergeschoss konnte man die unsichtbare Aktivität spüren, wie das geschäftige Treiben in einem Bienenstock.
Aber es war wohl nicht fair, Rashid mit einer Biene zu vergleichen - hier, in diesem Raum aus Fliesen und Stahl und Präzisionsinstrumenten, herrschte keine stumpfsinnige Betriebsamkeit. Und es roch definitiv nicht nach Honig.
»Schwächeln Sie etwa auf Ihre alten Tage, Inspector?«, fragte Rashid und blickte kurz vom Tisch auf. »Sie sind ein bisschen grün um die Nase.« Er hatte die Obduktion von Naz Maliks Leichnam beendet und seinen Assistenten weggeschickt, da er es vorzog, das Zunähen selbst zu übernehmen.Wie er Weller zu erklären pflegte, mochte er das Gefühl, einen Fall richtig »abgeschlossen« zu haben - und grinste dabei angesichts des schlechten Wortspiels sein boshaftes Pathologengrinsen.
»Das sind die Nachwirkungen einer Überdosis Hochzeitssekt«, erwiderte Weller und rieb sich die Schläfen. »Billiges Gesöff - obwohl ich der Familie der Braut keinen Vorwurf machen will, wenn man bedenkt, was die sonst noch so alles springen lassen mussten.«
»Tut mir leid, dass ich es nicht geschafft habe, die Einladung wahrzunehmen. Eine meiner Kolleginnen, die eigentlich Dienst gehabt hätte - Dr. Ling -, hatte einen Notfall in der Familie. Ihre Mutter, glaube ich. Da hat dann eben die Pflicht gerufen, wie man so sagt. Richten Sie bitte Sean aus, dass es mir leidtut.«
Wellers Sohn war im gleichen Alter wie Rashid, und die beiden hatten sich im Lauf der Jahre angefreundet. »Hast nicht viel verpasst - allerdings hättest du bestimmt was zu lachen gehabt«, sagte Weller. Rashid trank keinen Alkohol, und Weller konnte sich vorstellen, dass ein Hotel-Ballsaal voller schwer bezechter Gäste nach einer Weile seinen Reiz verlieren würde, wenn man deren ziemlich verzerrte Wahrnehmung nicht teilte.
Er hatte das Gefühl, dass seine Krawatte zu eng saß, selbst hier in diesem kühlen Raum. Nachdem er den Knoten gelockert hatte, lehnte er sich an die gekachelte Wand, sodass Kaleems Oberkörper ihm die Sicht auf den Tisch halb verdeckte. »Ich weiß es wirklich zu schätzen, dass du den da vorgezogen hast, Rashid.« Weller bat ungern um einen Gefallen, aber bei diesem Fall hatte er mehr und mehr ein ungutes Gefühl. Er war noch einmal nach Bethnal Green zurückgefahren und hatte sich seine
Notizen zum Fall Sandra Gilles vorgenommen, weil er sich allmählich fragte, was ihm außer diesem Ritchie noch alles entgangen sein mochte. Tim Cavendish hatte keine weiteren Angaben zu Ritchie oder dessen Club machen können, weshalb Weller Sergeant Singh mit Recherchen beauftragt hatte.
Zu Naz Malik gab es noch keine neuen Informationen. Für erste Ergebnisse der kriminaltechnischen Untersuchungen war es noch zu früh, und bislang hatte sich auch kein braver Bürger gemeldet, der Malik am Nachmittag oder Abend des gestrigen Tages im Park gesehen hatte. Wo hatte Malik die Stunden zwischen dem Verlassen seines Hauses und dem von Rashid geschätzten Zeitpunkt seines Todes im Park verbracht?
»Interessant, dass diese DI von Notting Hill sich in den Fall eingeschaltet hat«, bemerkte Rashid, als hätte er Wellers Gedanken gelesen.
»Findest du die Tatsache interessant oder die Frau?«, zog Weller ihn auf. »Schlecht sieht sie ja nicht aus.«
»Sie sieht aus, als wäre sie in festen Händen. Das erkenne ich auf zehn Meilen Entfernung. Ich habe einen Radar, was das betrifft. Und Sie wollen doch nur ablenken, statt in medias res zu gehen.«
»Oh, so schwierige Ausdrücke bringen sie euch an der Uni bei!«, gab Weller zurück, doch er wusste, dass Rashid recht hatte. »Na denn - bist du immer noch überzeugt, dass dieser Typ da sich nicht selbst ins Jenseits befördert hat?«
Rashid warf ihm einen skeptischen Blick zu. »Mal abwarten, was die Toxikologie sagt. Aber ich glaube nach wie vor, dass er zum Zeitpunkt seines Todes stark unter Beruhigungsmitteln stand. Und wenn er so vollgepumpt war, wie ist er dann an diese Stelle im Park gelangt? Dort hat er jedenfalls nichts genommen - es sei denn, er hatte eine Handvoll loser Pillen in der Hosentasche und hat sie trocken
Weitere Kostenlose Bücher