Wenn Die Wahrheit Stirbt
dass sie mit Gail sprach. »Ich kann dich ja verstehen, Gem, ehrlich. Aber die Sozialarbeiterin hat recht. Du musst das Jugendamt seine Arbeit machen lassen. Wenn da irgendetwas nicht ganz koscher ist, werden sie es bestimmt herausfinden.«
»Bist du sicher?«, fragte Gemma. Ihr Ton war distanziert.
Er haderte noch mit sich, weil er die falschen Worte gewählt hatte, als Sergeant Singh aus der Einsatzzentrale kam und ihm ein Zeichen machte. »Sir, der Empfang hat gerade angerufen«, flüsterte sie ihm zu. »Mr. Azad ist mit seiner Anwältin da.«
»Du, ich muss jetzt Schluss machen«, sagte er zu Gemma. »Ich rufe dich gleich an, sobald ich die Gilles-Brüder ausfindig gemacht habe.«
Ahmed Azad hatte Wort gehalten. Louise Phillips hatte gleich am Morgen angerufen und sich den frühestmöglichen Termin geben lassen, um mit ihrem Mandanten vorbeizukommen.
Sergeant Singh führte sie in das Büro, das Kincaid zum Vernehmungsraum erklärt hatte. Auf dem Tisch stand eine Kanne Kaffee bereit - Kincaids Plan war, dem Gespräch zumindest zu Beginn den Anschein einer freundlichen Plauderei zu geben. Cullen war noch im Yard, und Neal Weller war mit den laufenden Angelegenheiten seiner eigenen Abteilung beschäftigt. Kincaid war gespannt, was Azad sagen würde, wenn Weller nicht zugegen war und seinen Senf dazugeben konnte.
Er wusste nicht so recht, was er von Weller halten sollte, der Azad einerseits verteidigt hatte, es andererseits aber für nötig befunden hatte, ihn unter Druck zu setzen.
Auf ein Zeichen von Kincaid hin nahm Singh unauffällig im Hintergrund Platz. Kincaid schenkte den Kaffee selbst ein.
An diesem Morgen trug Ahmed Azad einen dunkelblauen Anzug, der perfekt auf seine etwas füllige Figur zugeschnitten war. Der feine Stoff schimmerte wie Seide, ebenso wie die blau und rosa gestreifte Krawatte. Azad war frisch rasiert und duftete intensiv nach Bay-Rum-Rasierwasser.
Louise Phillips dagegen sah hager und hohläugig aus, als ob sie nicht geschlafen hätte, und ihr zerknittertes blaues Kostüm war voller Haare - Hundehaare, wie Kincaid vermutete.
»Danke, dass Sie gekommen sind«, sagte er, nachdem alle mit Kaffee versorgt waren. Singh hatte ihn gekocht, und er war ebenso stark wie gut.
»Sehr aufmerksam von Ihnen.« Azad nahm einen Schluck von seinem Kaffee und nickte beifällig. »Ich weiß das sehr zu
schätzen, Mr. Kincaid. Es gibt keinen Grund, weshalb wir uns nicht wie zivilisierte Menschen unterhalten sollten.«
»Oh, da bin ich absolut Ihrer Meinung. Und ich weiß es auch zu schätzen, dass Sie als vielbeschäftigter Mann sich die Zeit nehmen, mit uns einige Dinge zu klären.«
Singh hatte ganz große Augen bekommen. Kincaid warf ihr ein Lächeln zu. Offensichtlich war sie eher an Wellers Vernehmungsmethoden gewöhnt. Zwar konnte auch Kincaid durchaus den »bösen Cop« spielen, wenn es ihm gerade passte, aber er schätzte Azad als den Typ ein, bei dem man mit Schmeicheleien weiter kam als mit Einschüchterung.
»Und Sie, Ms. Phillips?«, fragte er und wandte seine Aufmerksamkeit der Anwältin zu. »Wie geht es Ihnen denn heute?«
»Ich bin hier, um für meinen Mandanten zu sprechen, Superintendent.« Ihr Ton war scharf, und sie saß steif auf ihrem Stuhl, ohne ihren Kaffee anzurühren. Es war klar, dass sie nicht geneigt war, dieses Treffen als entspanntes Kaffeekränzchen zu betrachten.
Kincaid stellte seine Tasse behutsam auf dem niedrigen Tisch ab. »Nun, Mr. Azad. Da Sie schon einmal hier sind, wären Sie vielleicht so freundlich, uns zu sagen, wann Sie das letzte Mal mit Naz Malik gesprochen haben.«
»Lassen Sie mich überlegen. Das muss letzten Mittwoch gewesen sein. Oder war es am Donnerstag? Ja, ich glaube, es war am Donnerstag.«
»Also schön, am Donnerstag.War das in Mr. Maliks Kanzlei?«
»Nein, nein, Nasir kam zu mir ins Restaurant. Wir unterhielten uns nur kurz in meinem Büro. Nicht lange genug, wie es jetzt aussieht«, fügte er mit einem Bedauern in der Stimme hinzu.
»Und warum wollte Mr. Malik Sie sprechen?«, fragte Kincaid beiläufig, doch er bemerkte sogleich, wie Louise Phillips sich anspannte.
»Mr. Azad muss nicht -«
Azad schnitt ihr mit einer Handbewegung das Wort ab. »Es gibt keinen Grund, warum ich dem Superintendent gegenüber nicht offen sein sollte. Ja, Nasir und ich haben über meinen Neffen gesprochen, falls es das ist, was Sie zu erfahren wünschen. Genauer gesagt, über meinen Großneffen - der junge Mann ist der Sohn meiner
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