Wenn Die Wahrheit Stirbt
Lieblingsnichte drüben in Sylhet. Ich sagte Nasir, dass ich nicht wisse, wo mein Neffe steckt. Und dass ich auch diesen unsinnigen Geschichten nicht glaube, wonach Mohammed gegen mich aussagen wollte. Er ist ein törichter junger Mann, gewiss, aber so töricht nun auch wieder nicht. Alles, was er damit erreichen würde, wäre seine Abschiebung und die Schande, die er über seine Familie bringen würde.« Azads Ton legte nahe, dass er die letztere Konsequenz als die weitaus schlimmere betrachtete.
»Aber wenn Naz Malik glaubte, dass Ihr Neffe gegen Sie aussagen wollte, dann könnte er doch angenommen haben, dass Sie allen Grund hätten - nun ja, sagen wir, beim Verschwinden Ihres Neffen nachzuhelfen. «
»Nasir hätte so etwas niemals angedeutet«, erwiderte Azad, und sein fleischiges Kinn zitterte vor Entrüstung. »Er wusste, wie wichtig die Familie ist. Er war lediglich … besorgt um das Wohlergehen meines Verwandten.«
»Sie haben also an dem besagten Tag nicht mit Mr. Malik über Ihren Neffen gestritten?«, fragte Kincaid.
»Nein. Sie können meine Angestellten fragen, wenn Sie es für nötig halten.«
»Haben Sie am Tag seines Verschwindens mit Naz Malik gestritten?«
Louise Phillips schnellte auf ihrem Stuhl vor. »Das reicht, Superintendent. Ich kann nicht zulassen -«
»Ich habe Nasir danach nicht mehr gesehen«, unterbrach Azad sie erneut. Kincaid fragte sich, warum er überhaupt darauf bestanden hatte, dass sie ihn begleitete. »Am Samstag ist im
Restaurant immer am meisten los. Ich war dort von Mittag bis lange nach Geschäftsschluss am Samstagabend. Und ich hatte keinen Grund, mit ihm zu streiten. Er war nicht nur mein Anwalt, sondern auch mein Freund.« Azads rundes Gesicht nahm einen melancholischen Ausdruck an. Er setzte die kleine Kaffeetasse an die Lippen, um sie bis auf den letzten Tropfen zu leeren, und nachdem er sie abgesetzt hatte, strich er sich mit den Handflächen über die Knie. Das Signal war so deutlich, als hätte er ein Schild mit der Aufschrift Game Over hochgehalten. »Nun, Mr. Kincaid, hatten Sie sonst noch irgendwelche Fragen?«
»Ich glaube, dass er lügt«, sagte Sergeant Singh, nachdem Azad und Louise Phillips den Raum verlassen hatten. Sie hatte das Gespräch aufmerksam verfolgt und Azad unablässig beobachtet, während sie sich Notizen gemacht hatte.
»Oh, ich bin mir sicher, dass unser so ausgesucht höflicher Mr. Azad lügt«, pflichtete Kincaid ihr bei. »Die Frage ist nur: In welchen Punkten lügt er? Weiß er, was mit seinem Neffen passiert ist? Hat Naz Malik ihn beschuldigt, den unbequemen Neffen aus dem Weg geräumt zu haben? Hat er Malik noch einmal gesehen? Oder ist es etwas ganz anderes? Und warum hat er Louise Phillips zu diesem Auftritt mitgeschleppt - es sei denn, er hat es eher ihretwegen als unseretwegen getan?« Er dachte einen Moment lang nach. »Sehen Sie doch mal, ob Sie Ms. Phillips noch erwischen, Sergeant, ja? Ich glaube, ich möchte mich mal unter vier Augen mit ihr unterhalten.«
»Sie wissen, dass ich mit Ihnen nicht über die Angelegenheiten meines Mandanten sprechen kann«, sagte Louise Phillips, nachdem Singh sie in das kleine Büro zurückgebracht hatte. Sie roch stark nach Rauch, und Kincaid vermutete, dass Singh sie auf der Straße eingeholt hatte, als sie gerade stehen geblieben war, um sich eine Zigarette anzuzünden.
»Danke, Sergeant.« Kincaid entließ Singh mit einem Lächeln und wandte sich dann Phillips zu. »Das ist mir schon bewusst. Aber über Naz Maliks Angelegenheiten können Sie sprechen.« Er deutete auf den Stuhl, von dem sie vor wenigen Minuten erst aufgestanden war. »Möchten Sie jetzt nicht doch einen Kaffee? Ich glaube, der in der Kanne ist noch heiß.«
Sie starrte ihn wütend an, doch nach einer Weile ließ sie sich seufzend auf den Stuhl sinken, als sei sie zu erschöpft, um die Fassade der Empörung noch länger aufrechtzuerhalten. »Ja, meinetwegen«, sagte sie und ließ sich eine frische Tasse geben. »Ich habe versucht, mir den Kaffee abzugewöhnen. Mein Arzt sagt, dass mein Blutdruck jenseits von Gut und Böse ist. Aber jetzt, wo Naz tot ist, scheint es mir ein bisschen albern, sich Gedanken über solche Sachen wie Koffein und Blutdruck zu machen.« Mit einem Schulterzucken fügte sie hinzu: »Was macht es schon für einen Unterschied, wenn es einem passieren kann, dass man aus dem Haus geht und kurz darauf tot im Park liegt? Oder mit einem Bus in die Luft gejagt wird? Oder in der U-Bahn
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