Wenn Die Wahrheit Stirbt
Alexander. Er schien mehr interessiert als betroffen.
»Nein. Wir sind wegen Sandra Gilles’ Ehemann hier, Naz Malik«, erklärte Kincaid. Als Alexander ihn fragend ansah, fügte er hinzu: »Mr. Malik wurde vergangenes Wochenende ermordet.«
»Das wusste ich noch nicht.« Alexander runzelte die Stirn.
»Schlimme Sache. Man sollte meinen, Sandras Verschwinden wäre Tragödie genug für eine einzige Familie.« Er schüttelte den Kopf. »Nicht nur, dass ihre Arbeiten mir fehlen, sie hat sich auch sehr für unsere Beratungsstelle engagiert.«
»Ihre Beratungsstelle?«
»Miles ist einer der Geschäftsführer einer sexualmedizinischen Beratungsstelle in Shoreditch«, erklärte Ritchie. »Sie bietet kostenlose Untersuchungen und sonstige Dienstleistungen für Frauen aus der Umgebung an. Sandra lag das Thema sehr am Herzen, und sie hat dafür nicht nur ihre Freizeit geopfert, sondern auch ihre Kunst zur Verfügung gestellt. Viele asiatische Frauen wollen nicht, dass ihre Ehemänner oder ihre Eltern erfahren, dass sie einen Arzt aufgesucht haben, und die Beratungsstelle sichert ihnen deshalb Vertraulichkeit zu.«
»Es ist unser kleiner Beitrag für die Allgemeinheit.« Alexander sah auf seine Uhr und schenkte ihnen ein flüchtiges Lächeln. »Tut mir leid, ich habe noch einen geschäftlichen Termin. Wenn Sie mich bitte entschuldigen würden.« Er nickte ihnen zu und schloss sich dann einer Gruppe von Männern an, die sich um die Bar drängten.
Ritchie wandte sich zum Aufzug um und gab Kincaid eine Visitenkarte. »Wenn ich sonst noch etwas für Sie tun kann, Superintendent - Sie wissen, wo Sie mich finden können.«
»Da wäre noch eine Sache, Mr. Ritchie«, sagte Kincaid. »Sie müssen uns bitte verraten, wo Sie am vergangenen Samstag waren.«
»Ein bisschen sehr von sich eingenommen, finden Sie nicht?«, meinte Cullen, als sie auf die Widegate Street hinaustraten. »Eingebildeter Kerl - denkt wohl, dass alle Frauen verrückt nach ihm sind.«
»Das sind sie vielleicht auch.« Kincaid grinste. »Er sieht ja auch wirklich nicht schlecht aus, aber da sollten wir wohl besser
noch eine weibliche Meinung einholen. Was ich interessanter finde, ist diese Adresse.« Er klopfte auf seine Brusttasche, in der die Karte steckte. Nach einigem Zögern hatte Ritchie ihnen eine Adresse und eine Telefonnummer auf die Rückseite geschrieben.
»Am Samstag war ich den ganzen Nachmittag und Abend bei meinen Eltern«, hatte er erklärt. »Im Club ist an dem Tag immer recht wenig los, und da bin ich zur Geburtstagsfeier meiner Nichte gefahren.«
»St. John’s Wood«, meinte Kincaid nachdenklich, als sie zur Liverpool Street zurückgingen. »Wenn er aus einer so noblen Gegend stammt, wieso ist sein Akzent dann so neutral?«
»Vielleicht, weil er die zu Geld gekommenen Arbeitersöhne nicht verschrecken will. Aber man merkt trotzdem, dass er auf einer Eliteschule war.«
»Woran denn?«, fragte Kincaid und sah Cullen neugierig an.
Cullen zuckte mit den Schultern. »Kann ich nicht so genau sagen. Man merkt es einfach.«
»Da fragt man sich natürlich, wer seine ›Kontakte in der City‹ sind, die so bereitwillig Geld in den Club gesteckt haben, nicht wahr?«, sagte Kincaid nachdenklich. »Ehemalige Schulkameraden? Freunde seiner Eltern?«
»Er hat bestimmt Beziehungen«, pflichtete Cullen bei. »Ob es ihm passt oder nicht. Und er ist so verdammt braun gebrannt«, fügte er hinzu, als wäre das ein unverzeihliches Vergehen.
»Vielleicht joggt oder rudert er ja, oder er spielt Tennis. Wir haben schließlich August«, meinte Kincaid schmunzelnd. »Sogar Sie könnten braun sein, wenn Sie ab und zu mal das Haus verlassen würden. Was macht übrigens die Wohnungssuche?«
»Gar nichts.« Cullen klang mutlos.
»Na ja, falls es in den nächsten Stunden keine entscheidenden Durchbrüche gibt, könnten Sie ja heute Nachmittag ein bisschen früher Schluss machen. Aber zuerst überprüfen Sie
bitte noch Ritchies Alibi, und dann sehen Sie zu, ob Sie dieses Mädchen ausfindig machen können, das angeblich gar nicht vermisst wird - Kylie Watters.«
Melanie hatte angewidert ihren hübschen Mund verzogen, als sie sie nach ihrer Ex-Mitbewohnerin gefragt hatten. »Ich weiß nicht, wo sie ist«, hatte sie geantwortet. »Und ihr Handy ist abgemeldet. Ich habe letzte Woche versucht, sie zu erreichen, weil sie mir immer noch ihren Teil von der Miete schuldet. Sie hat immer erst auf den letzten Drücker bezahlt und hatte immer alle möglichen Ausreden
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