Wenn Die Wahrheit Stirbt
wie ich leider zugeben muss. Aber ich -« Sie brach ab und nippte an ihrem dampfenden Tee. »Es ist einfach so - Ich kann einfach nicht fassen, dass er tot ist. Jetzt glaube ich nicht mehr daran, dass Sandra je wiederkehren wird.« Inzwischen liefen ihr die Tränen ungehemmt über die Wangen.
»Sie dachten, Sandra würde wieder nach Hause kommen?«, fragte Gemma überrascht. Es war, wie ihr plötzlich klar wurde, das erste Mal, dass sie mit jemandem sprach, der ernsthaft daran zu glauben schien.
»Ja, ich weiß, es ist albern, aber ich habe es wirklich geglaubt. Irgendwie dachte ich, sie würde eines Tages ihr unterbrochenes Leben einfach wieder aufnehmen. Aber jetzt, wo Naz tot ist, kann ich mir nicht mehr vorstellen, dass Sandra jemals zurückkehrt.«
»Und was ist mit Charlotte?«, fragte Gemma empört. Sofort hatte sie das Gefühl, Charlotte verteidigen zu müssen.
»Oh, ich wollte nicht andeuten, dass sie Charlotte nicht geliebt hätte. Sie hat sie vergöttert. Aber lange, bevor Charlotte zur Welt kam, waren Naz und das Haus die Fixpunkte in ihrem Leben, die ihr mehr bedeuteten als alles andere - sogar mehr noch als ihre Arbeit.« Bei diesen Worten nahm ihr faltenloses, beinahe durchscheinendes Gesicht einen leicht missbilligenden Ausdruck an.
»Hätte die Arbeit ihr mehr bedeuten sollen?«
»Das wollte ich damit nicht sagen.« Etwas von Pippas anfänglichem Argwohn schien wieder aufzuflackern. »Ich weiß immer noch nicht recht, warum Sie eigentlich mit mir reden wollen. Ich habe Sandras Eltern und Geschwister nie kennengelernt.«
»Roy Blakely meinte, Sie und Sandra hätten sich in der letzten
Zeit nicht mehr so gut verstanden und Sie würden auch ihre Arbeiten nicht mehr vertreten.«
»Das hat Sandra ihm erzählt?« Pippa starrte sie an, und Gemma fand den Blick ihrer hellen Augen verstörend. »So einfach war das nicht. Sandra und ich hatten eine … Meinungsverschiedenheit … über die Richtung, die ihre Karriere nahm. Ich fand, dass sie zu viele Aufträge annahm. Sie hätte nur über Ausstellungen und Galerien verkaufen sollen - so baut man sich einen Ruf auf.« Sie deutete in Richtung des Ausstellungsraums. »Ich habe jetzt zwei Künstler hier, die bedeutende Preise gewinnen könnten. Sie werden nicht erleben, dass die ihre Bilder an den Erstbesten verkaufen, der irgendetwas Dekoratives für sein Wohnzimmer sucht.«
»Ist das denn etwas Schlechtes?«
»Allerdings - wenn Sie als Künstler ernst genommen werden wollen. Und es ist ein Geschäft, da dürfen wir uns nichts vormachen. Sandra war der Meinung, dass Kunst dazu da sei, gesehen zu werden, und dass die Bedeutung eines Werks im Auge des Betrachters liege.« Nach Pippas Tonfall zu urteilen, hätte Sandra ebenso gut behaupten können, die Erde sei eine Scheibe. »Mit solchen Albernheiten hätte ich umgehen können, durch sorgfältiges Marketing, durch die Erzeugung einer mystischen Aura«, fuhr Pippa fort, »aber das konnte ich nur tun, wenn ich sie exklusiv vertrat.« Sie trank noch einen Schluck von ihrem Tee, obwohl Gemma ihn immer noch viel zu heiß fand.
»Aber damit war Sandra nicht einverstanden?«, fragte sie so neutral, wie sie konnte.
»Nein. Sandra konnte einen manchmal zur Weißglut treiben mit ihrer Sturheit. Ich sagte ihr, in diesem Fall könnte ich sie gar nicht mehr vertreten, weil ich hoffte, sie so umstimmen zu können. Aber damit hatte ich mich getäuscht. Und schon war es passiert.« Pippa beugte sich über ihren Becher und schob ihre langen, flachsblonden Haare beiseite, die ihr wie ein Vorhang
ins Gesicht fielen. Gemma sah, dass die Farbe bis zu den Wurzeln reichte und dass am Scheitel die Kopfhaut rosa durchschimmerte. »Ich wollte nie, dass es dabei blieb«, sagte Pippa. »Es war es nicht wert, dass darüber unsere Freundschaft zerbrach. Und jetzt kann ich es nicht mehr ändern.«
»Es tut mir leid«, sagte Gemma. »Das muss sehr schwer für Sie sein. Aber wir wissen ja nicht, was mit Sandra wirklich passiert ist.«
»Nein. Aber ich kann mir nicht vorstellen … Und ich finde den Gedanken unerträglich, dass sie von Naz’ Tod erfahren könnte.Wissen Sie - Sie haben ja gesagt, Sie seien nicht offiziell an der polizeilichen Ermittlung beteiligt, aber - wissen Sie, was passiert ist? Wie - wie Naz gestorben ist?«
Da Gemma wusste, dass die Information über die Drogen in Naz’ Organismus noch nicht für die Öffentlichkeit freigegeben war, konnte sie die Frage nicht beantworten, obwohl Pippa Nightingales Reaktion
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