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Wenn die Wale an Land gehen (German Edition)

Wenn die Wale an Land gehen (German Edition)

Titel: Wenn die Wale an Land gehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Aehnlich
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ostdeutschen Gerichte essen wollten. Und so haben wir eine Firma gegründet die ›EGC‹: das ›East-German-Catering‹. Das ging damals noch auf Steuerkarte. Und als das neue Einwanderungsgesetz kam, haben wir uns bei uns selbst beworben. Es durften ja nur Ostdeutsche eingestellt werden, da waren wir konkurrenzlos. Damit hatten wir unser Arbeitsvisum.«
    »Mit so einer Lüge bekommt man die Greencard?«
    »Na ja, es war keine richtige Lüge, wir haben mindestens zehn Mal Soljanka gekocht. Und außerdem ist die grüne Karte gar nicht grün.«
    »Warum heißt sie dann so? Wegen der Hoffnung?«
    »Wenn du sie hast, steht deine Ampel auf Grün.«
    »Und hattet ihr freie Fahrt?«
    »Die Geschäftsidee war schnell verbraucht. Ich habe dann eine eigene Firma gegründet.«
    Der Cowboy machte eine ausholende Handbewegung. Roswitha hob ihren Kopf ein Stück an und sah auf die braunen Pakete, die überall im Raum verteilt standen.
    »Import – Export!«
    »Was ist da drin?«
    »Musikinstrumente. Ich kaufe sie im Internet und verkaufe sie wieder.«
    »Davon kann man leben?«
    »Wenn man Ahnung hat und besessene Käufer findet.«
    »Und deine Musik?
    »Hm.«
    »Du spielst nicht mehr?«
    »Doch schon, aber anders. Ich gebe Unterricht. Und manchmal spiele ich in einem Pianogeschäft an der Upper Westside, um die reichen Kunden anzulocken.«
    »Hast du jemals daran gedacht zurückzugehen?«
    »Gedacht schon.«
    »Und?«
    »Komm mit! Deine Schönheits-OP bringt sowieso nichts mehr.«
    Er zog sie mit beiden Händen nach oben.
    Sie hatte das Gefühl, dass ihre Beine aus Knetmasse waren und ohne Stütze in wenigen Minuten wegknicken würden. Trotzdem folgte sie dem Cowboy und stieg hinter ihm eine rostige Leiter hinauf. Mit einem Ruck öffnete er die Dachluke. In einem Schwall kam ihr die warme Luft entgegen. Es roch nach Teer, frisch gesägtem Holz, Abgasen, und was das Überraschendste war: Es roch nach Meer.
    Aus den Werkhallen unter ihnen war das martialische Kreischen von Kreissägen zu hören, hinter ihrem Rücken summte das Umspannwerk und dicht neben dem Haus donnerten die Autos über den zwölfspurigen Expressway. Es war ein merkwürdiges Gefühl – was nicht nur an ihren Knetmassebeinen lag. Der Himmel war blau, die wenigen Wolken spiegelten sich in den Glasfassaden auf der gegenüberliegenden Flussseite.
    »Downtown Manhattan«, sagte der Cowboy und zeigte an das andere Ufer, »dort in der Mitte war das World Trade Center.«
    Roswitha kannte die Skyline von New York nur aus Filmen und hatte sich nie für die Namen der Häuser interessiert. Erst als die beiden Türme fehlten, fielen sie ihr in alten Filmen auf und es gab ein Vorher und ein Nachher.
    »Komm einen Stück näher an den Rand«, sagte der Cowboy.
    »Ich habe Höhenangst!«
    Er reichte ihr die Hand und zog sie ein Stück nach vorn. »Meine Straße ist die Achse zwischen der Freiheitsstatue und der Siegesgöttin. Wenn du dich vorbeugst, siehst du die Siegesgöttin. Die ist so, damit sie die Freiheitsstatue grüßen kann.«
    Für einen Moment hatte Roswitha das Gefühl, an etwas Besonderem teilzuhaben, und sie musste schlucken.
    »Siehst du, und dort drüben ist Ikea«, sagte der Cowboy.
    Gott sei Dank! Sie musste nicht sentimental werden.
    »Es gibt auch Aldi, das heißt hier bloß Trader Joe’s.«
    »Da musst du ja auf nichts verzichten!«
    »Mick hat mir mal geschrieben, dass hier der schönste Platz war.«
    »Stimmt. Er hat es geliebt. Er hat sich hier oben jeden Morgen rasiert, weil er meinte, dass so sein Tag gut anfangen würde. Dort hängt noch sein Spiegel, am Schornstein.«
    »Na, und wo ist er jetzt?«
    »Ich weiß es nicht. Vor drei Jahren wurde er krank. Es begann mit einem Hautausschlag, dann kam hohes Fieber dazu. Er hatte nun zwar eine Greencard, aber natürlich keine Versicherung. Das Heim in East Village hat organisiert, dass er untersucht wurde und ins Krankenhaus kam. Letztendlich war es eine verschleppte Gürtelrose, aber durch die lange Entzündung war das Herz angegriffen. Die Situation war ernst. Ich hab’ ihn zweimal in der Woche besucht. Als ich das letzte Mal kam, war das Bett leer und an die Wand gerollt.
    »Und?«, fragte Roswitha und ging einen Schritt zurück und klammerte sich an den Schornstein.
    »Nicht was du denkst«, sagte der Cowboy. »So schlimm war’s nun auch wieder nicht. Es hieß, eine Krankenschwester habe ihn mit zu sich nach Hause genommen.«
    »Wie? Es hieß? Du hast nicht nach ihm gesucht?«
    »Wie willst du in

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