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Wenn die Wale an Land gehen (German Edition)

Wenn die Wale an Land gehen (German Edition)

Titel: Wenn die Wale an Land gehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Aehnlich
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nachzudenken, es gab ja auch Negerküsse, Mohrenköpfe und Negerpuppen!«
    » Ja, Negerpuppen, mit denen wollten alle spielen. Nur nicht mit mir! Ich geh uns mal ein Dessert holen!«, sagte Malenga.
    »There’s a rose in black at Spanish Harlem«. Die drei Musiker spielten den alten Aretha-Franklin-Titel. Der Gitarrist war ein großer, stattlicher Mann mit Lederhut. Er zwinkerte Momo zu, der wie gebannt auf die Bühne starrte.
    »Spanish Harlem« war der erste Titel auf Micks Aretha-Franklin-Platte. Im Nachhinein betrachtet, war das Angebot an Jazzplatten gar nicht so schlecht gewesen. Und wahrscheinlich hatte das Gefühl, immer unterversorgt zu sein, viele Musikfreunde mit Dingen vertraut gemacht, die sie sonst gar nicht wahrgenommen hätten. Zwar waren sie, was das Erscheinen betraf, auf das Wohlwollen des volkseigenen Handels angewiesen, aber Roswitha war nicht sicher, ob sie sich bei ständiger Verfügbarkeit wirklich eine Platte von Joe Pass oder Sidney Bechet gekauft hätte. Mangel macht hellhörig, und sie hatte immer Angst gehabt, ein Zeichen zu übersehen.
    Die Jazzreihe bei »Amiga« war Kult. Die meisten Plattenhüllen waren in Schwarz-Weiß gehalten: schwarzer Hintergrund und im Vordergrund der Sänger. Die schlichte Ausstattung wirkte schön, fatal für die Gestaltung war nur, dass die meisten Jazzsänger schwarz waren. Schwarz auf Schwarz. Hatte sich der Grafikermit seiner Idee verrannt? Um die schwarzen Musiker sichtbar zu machen, gab es nur eine Lösung, ihre Gesichter mussten weiß werden: Herbie Hancock: weiß, Louis Armstrong: weiß, Bessie Smith: weiß. Als Mittel diente ein imaginäres Anstrahlen der Köpfe mit grellem Scheinwerferlicht. Das Resultat war, dass alle Musiker aussahen wie geblendetes Wild auf einer nächtlichen Landstraße.
    Als Roswitha die Janis-Joplin-Platte zum ersten Mal sah, war sie für einen Moment verwirrt gewesen, denn auch Joplins Gesicht glänzte weiß auf dem schwarzen Untergrund, legte die Vermutung nahe, auch sie wäre eine umgewandelte Schwarze. Wäre es nach der Stimme gegangen, hätte Janis sich sehr gut in die Gilde der Weißgesichtmusiker einreihen können.
    Für Mick zählte ohnehin nur die Stimme. Es gab gute und es gab schlechte Titel. Basta. Für ihn erklärten sich alle Dinge auf der Welt durch Musik. Auch der Kampf von Angela Davis, dem seine geliebten Stones auf dem Album
Exile on Main Street
einen Titel widmeten. In »Sweet Black Angel« sangen sie davon, dass sie ein Bild von einer Frau an der Wand hängen hätten, die kein Pin-up-Girl sei, und gaben damit den Musikfreunden ein Rätsel auf: »She ain’t no singer and she ain’t no star. But she sure talk good.« Da war John Lennon schon direkter. Er nannte seinen Song gleich »Angela« und versprach: »Angela, bald wirst du zurückkehren zu deinen Brüdern und Schwestern auf der ganzen Welt.«
    Malenga balancierte neue Polysterolschachteln auf ihrem Tablett. »Wie wär’s mit einem Dessert? Banana Nut Bread, Peach Cobbler? Oder Strawberry Cheese Cake. Falls dir Momo etwas abgibt.«
    Momo lachte und zog die Schale mit dem Erdbeerkuchen zu sich heran.
    »Wieso versteht er eigentlich so gut Deutsch?«
    »Sein Vater ist Österreicher. Wir haben untereinander meist deutsch gesprochen.«
    »Haben?«
    »Er ist in seine Heimat zurückgekehrt. Die Stadt war ihm zu anstrengend. Lass dich nicht täuschen, das Leben hier ist hart.«
    »Und du?«
    »Ich werde nie den Tag vergessen, an dem ich hier ankam. Alle sahen so aus wie ich, keiner hat mit dem Finger auf mich gezeigt oder eine dumme Bemerkung gemacht. Ich bin in der Masse untergetaucht. Konnte mich bewegen, wie ich wollte, ohne dass es auffiel. Das erste Mal in meinem Leben! Für dieses Gefühl bin ich unendlich dankbar.«
    »Und Mick?«
    »Der hat mal gesagt: ›Das größte Glück ist, nicht mehr bevormundet zu werden.‹«
    »Glaub ich sofort. Kannst du dir vorstellen, wie wir uns gefühlt haben, als wir nach dem Studium plötzlich arbeiten mussten? Neuneinhalb Stunden am Tag weggesperrt sein. Mick musste Zahnräder konstruieren, und ich war im Traktorenwerk. Schrecklich!«
    Der Wecker bestimmte ihr Leben. Fünf Uhr aufstehen, Zähneputzen, waschen, anziehen, im Sprint zur Bushaltestelle. Es wurde penibel darauf geachtet, dass jeder pünktlich den Arbeitsplatz betrat. War man allerdings erst einmal im Werk, gab es keine Eile mehr.
    Der Tag im Büro begann mit Tee kochen. Wer zuerst kam,setzte den Tauchsiedertopf an und brühte den Tee. Sie trafen sich im

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