Wenn du lügst
und ihre Schultern bebten. Etwas Speichel war aus ihrem Mund gespritzt und klebte nun an ihrem keuchenden Brustkorb.
»Du hast mich angelogen«, schrie sie. »Du blödes Miststück hast mich angelogen.«
»Ich habe dich nicht angelogen. Ich habe dir gesagt, dass die Schule klein ist.« Lily hatte ihren ersten Schultag absolviert - die Genehmigungen waren endlich eingetroffen -, und offensichtlich war es nicht gut gelaufen. Während ich Verärgerung oder sogar Wut verstanden hätte, machte mich dieser beinahe tollwütige Zorn fassungslos.
»Klein? Klein bedeutet drei oder vier Klassen für Schüler meines Alters. Das wäre klein. Das wäre winzig. Weißt du, wie viele Schüler es an meiner Highschool gibt? Zweitausend. Weißt du, wie viele Schüler es in meiner Klasse in diesem schäbigen Drecksloch von einer Schule gibt? Vier. Das ist nicht klein. Das ist nicht winzig. Das ist schwachsinnig. Das ist keine Schule; es ist ein Babysitter mit einer Handvoll Kinder. Was soll ich deiner Meinung nach in einer Klasse mit vier Schülern anfangen?«
»Na ja, das Schlimmste, das passieren kann, ist, dass du die Viertbeste in der Klasse wirst.« Mir war klar, dass sich mein Ärger über Lilys Verhalten auf völlig falsche Weise entlud.
Lily hielt die Luft an und starrte mich finster an. »Das ist das Dümmste, was ich je gehört habe. Soll das ein Witz sein? Findest du das lustig? Du meinst, es ist lustig, wie eine Aussätzige behandelt zu werden? Aber warum sollte es dich überhaupt interessieren? Du willst mich einfach nur loswerden, genau wie meine Mutter. Deshalb konntest du es gar nicht erwarten, mich in diese blöde Schule zu stecken.«
Ich sah sie an. Ganz klar ging es hier um mehr als um die Schule, aber jetzt mit ihrer Mutter anzufangen, würde es nur noch schlimmer machen. Ich versuchte, mich auf das gegenwärtige Problem zu konzentrieren. Sie trug noch immer die vielen Armbänder, die grellen Ohrringe und das dunkle Gothic-Make-up, von dem ich gewusst hatte, dass sie damit auffallen würde wie ein bunter Hund. Ich war mir ziemlich sicher, dass ihre bauchfreie Aufmachung ihr ebenfalls nicht geholfen hatte. Ganz gleich, wie viele Touristen hierher kamen, war Blackbeard’s Isle noch immer eine kleine Insel im ländlichen Süden. Hätte ich an diesem Morgen darauf bestehen sollen, dass sie sich umzieht? Sollte ich jetzt mit ihr darüber sprechen?
Ich hatte am Morgen nicht gewusst, was ich sagen könnte, und tat es noch immer nicht. Lily schien sich über jede Anleitung und jeden Rat zu ärgern, deshalb war ich unschlüssig gewesen. Ich hatte mich gefragt, was Betsy tun würde, und entschieden, dass sie mir raten
würde, Lily in Ruhe zu lassen, also hatte ich das getan. Jetzt überkam mich das Gefühl, sie im Stich gelassen zu haben.
»Lily, Schätzchen, es tut mir leid, wenn es nicht so gut gelaufen ist …«
»Es tut dir nicht leid. Es kümmert dich einen Scheiß. Du schließt mich aus allem aus. Ich bin dir völlig gleichgültig. Ich bin nichts als eine Belastung für dich. Ich bin hier lebendig begraben, in diesem blöden Provinznest mitten im Nichts, aber dir ist das ganz egal. Die meiste Zeit über bemerkst du mich noch nicht mal. Du sitzt da oben in deinem bescheuerten Schaukelstuhl und redest kaum mit mir. Du wünschst dir, ich wäre nie geboren worden«, schrie sie nun.
»Komm, Lily«, sagte ich sanft. »Beruhig dich, Schätzchen. Ich wünsche mir nicht, du wärst nie geboren worden - niemand tut das. Hör zu, wegen der Schule, vielleicht gibt es da ein paar Dinge, die wir tun könnten …«
»Ich weiß, was ich tun kann«, brüllte sie. »Ich werde diese dämliche Schule nie wieder betreten.«
»Lily, du musst zur Schule gehen.«
»Ich muss gar nichts. Du kannst mich nicht zwingen. Ich such mir einen Job. Ich geh da nicht wieder hin.«
»Du bist dreizehn. Du musst zur Schule gehen.«
»Sagt wer?«
»Nun, Lily, das Gesetz zum Beispiel«, sagte ich leise. Das hier wurde langsam absurd.
»Es gibt doch auch ein Gesetz gegen das Verprügeln von Menschen, oder?«
»Ja«, bestätigte ich langsam.
»Tja, so viel also zu den Gesetzen«, höhnte sie.
»Lily, ich werde darüber nicht diskutieren. Du wirst zur Schule gehen. Du musst. Vielleicht …«
»Sag mir nicht, was ich zu tun habe«, kreischte sie. »Du bist nicht meine Mutter. Du bist noch nicht mal ihre Freundin. Du hättest sie nie bei diesem Arschloch gelassen, wenn du ihre Freundin wärst. Keine Freundin würde so was tun. Du weißt nicht,
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