Wenn du mich brauchst
ihren Eizellen und Leeks Samen entstanden.
Meine dunklen Haare, mein dunkler Teint … Ich war, wie Moon es formuliert hatte, eine geheimnisvolle Unbekannte. Ich kam aus dem Nichts, ich war ein Buch mit leeren Seiten – sozusagen. Meine DNA – über Erbstrukturen, genetische Fingerabdrücke und Genom-Analysen hatte ich mal ein Biologiereferat gehalten – stammte nicht von hier, sondern, wie es schien, aus Beverlywood. Dort irgendwo war ich entstanden, dort irgendwo waren meine Wurzeln.
Ich gab mir einen Ruck. »Die Klinik, in der ich geboren wurde, hat uns geschrieben«, sagte ich rasch auf Deutsch zu Dorothea und Herrmann.
»Und?«, fragte Hamburg/weiblich irritiert. Sie saß wie auf Kohlen. Was vermutete sie jetzt? Dass ich mit HIV infiziert war und sie Gefahr lief, sich an ihrer einzigen Enkeltochter zu infizieren?
»Es gab damals wohl eine – Verwechslung«, fuhr ich fort, konnte aber nicht verhindern, dass meine Stimme etwas wackelte.
»Sky, sei still«, bat Rosie eindringlich. »Bitte.«
»Lass nur, Mom«, sagte ich schnell und lächelte ihr zu.
»Sie schreiben, dass ich mit einem – anderen Neugeborenen verwechselt wurde. Einem Mädchen aus Beverlywood. Wir sollen uns mit der Klinik in Verbindung setzen. In der Familie dort gibt es ein krankes Kind. Sie wollen überprüfen, ob ich als … – als was, Leek?«, unterbrach ich mich.
»… als Knochenmarkspenderin«, sagte mein Dad auf Englisch.
»Keine Ahnung, wie das auf Deutsch heißt«, murmelte ich achselzuckend. »… ob ich diesem Kind – irgendwie helfen kann«, beendete ich meinen deutschen Satz.
»Du lieber Himmel«, flüsterte Dorothea.
Kein HIV. Kein Aids. Nur das falsche Enkelkind?
»Ein Skandal«, schimpfte Herrmann. »Typisch Amerika! Ist denn das die Möglichkeit? In Deutschland wäre so etwas unmöglich! Dort werden alle Neugeborenen unmittelbar nach der Geburt gekennzeichnet! Irrtümer ausgeschlossen.«
Dorothea war aufgestanden. »Kind … Oh, Kind«, sagte sie zu mir und nahm mich, ehe ich es verhindern konnte, in die Arme.
So schlimm stand es um mich? Hastig machte ich mich frei. Seit Jahren hatte Hamburg mich nicht berührt.
Und auf einmal sahen mich alle an. Sogar Godot hob von seinem Platz im Gras aus den Kopf.
»Deshalb das Aussehen«, sagte Dorothea schließlich. »Ich habe mich – immer gewundert. So gar nichts von dir, Rosa.«
»Aber Old Nialls grüne Kaleidoskopaugen«, stellte Moon fest und sah mich an. Seine azurblauen Rosieaugen trafen meinen Blick.
Und da musste ich weinen. Ich hatte auf einmal das Gefühl, als sei meine Haut zwei Nummern zu klein für mich. Es fühlte sich so an, als würde ich mittendurch gerissen.
»Sky!«, rief Rosie.
»Prinzessin!«, setzte Leek hinzu.
Aber ich stürzte davon und rannte ins Haus. Laut krachend ließ ich die sowieso schon marode Terrassentür hinter mir ins Schloss fallen.
In meinem Zimmer waren die Jalousien noch heruntergelassen von der vergangenen Nacht, schmale Sonnenstreifen flimmerten an den Wänden. Ein stilles Dämmerlicht. Draußen sengte die Vormittagssonne. Ich stand da wie erstarrt.
Ich war nicht mehr länger ich. Ich war ein vertauschtes Neugeborenes aus dem Howard-Spencer-Memorial-Hospital. Ansonsten war ich ein Niemand.
Dieses Zimmer war nicht mein Zimmer. Dieses Zimmer gehörte einem anderen Mädchen. Diesem jüdischen Mädchen aus Beverlywood. Eine reiche Gegend. Nobel. Große Villen gab es dort.
»Sky?«
Kendras Stimme vor meiner Tür. Nein, nicht vor meiner Tür. Vor der Tür dieses Mädchens aus Beverlywood. Allerdings war sie sicher Besseres gewöhnt als das hier .
Kendra kam herein.
»Sky, beruhige dich«, sagte sie leise und streichelte meine Schulter. »Vielleicht ist ja alles nur ein Irrtum. Ich finde, du siehst Leek ähnlich.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, das sehe ich nicht«, sagte ich und meine Stimme klang hohl und tonlos und seltsam fremd.
»Doch«, sagte Kendra. »Und außerdem sehe ich meinen idiotischen Eltern auch nicht ähnlich.«
Aber das stimmte nicht. Kendra ähnelte ihrer Mutter, so wie ihre Namen sich ähnelten. Kendra und Brenda Flayderman. Aber das durfte man Kendra nicht sagen, wenn man nicht wollte, dass sie auf der Stelle in die Luft ging.
Ich riss die Tür von meinem Kleiderschrank auf.
»Was tust du da?«, fragte Kendra irritiert.
»Ich ziehe ins Schimmelzimmer«, sagte ich und hatte wieder dieses Zerreißgefühl in mir drin.
»Warum denn das?«
Kendra setzte sich auf mein Futonbett, in dem wir vor
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