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Wenn du mich brauchst

Wenn du mich brauchst

Titel: Wenn du mich brauchst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Frey
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schlüpfte ebenfalls aus meiner Weste.
    Zvi lächelte uns zu und hinter unseren Ohren verbarg sich, wer hätte das gedacht, ebenfalls jeweils ein knittriger Dollar. Hinter meinem linken und Shars rechtem.
    »Krieg ich die?«, bettelte Jonathan. Und weil er klein, krank und rührend war, bekam er sie natürlich.
    »Danke«, sagte er strahlend. »Ich spare nämlich. Für Disneyland, dann wenn wir wieder hingehen …«
    Ich schluckte. Lieber, armer, kleiner Kerl. Wenn er nur bald gesund würde. Wenn. Wenn. Wenn.
    »Ich weiß es übrigens schon«, sagte er da plötzlich und schaute mich unverwandt an, während er sprach. »Ich habe es gehört . Abba hat es gesagt. Zu Ima. Und zu dem Arzt mit der Brille. Du bist gar nicht meine echte Schwester. Sie haben dich vertauscht, als du gerade geboren warst, Hannah!«
    Ich starrte erst ihn, dann Sharoni und zum Schluss meinen Onkel fassungslos an.
    Selbst Jonathan, der Winzling, kannte die Neuigkeit schon? Was hatten sie getan? Es der Zeitung mitgeteilt? Dem Fernsehen? Es in riesigen Lettern ans Portal des Krankenhauses geschrieben? Hannah ist nicht Hannah! Mir wurde schwindelig.
    »Sorry, Han, dass er dich damit so überrumpelt«, sagte Zvi in diesem Moment vorsichtig. »Er hat es mir auch schon erzählt. Das Kind muss Ohren wie ein Luchs haben. Er hat es irgendwo aufgeschnappt.«
    »Nicht irgendwo«, verbesserte Jonathan ihn und glättete liebevoll seine Dollarscheine dabei. »Gleich hier bei mir im Zimmer. Sie haben geglaubt, dass ich schlafe. Und dann haben sie darüber geredet. Über mich und mein Blut. Und auch über dieses andere Mädchen. Ima hat doll geweint. Sie hat immer gesagt: ›Aber Hannah ist meine Tochter! Sie ist meine Tochter!‹ – Sie hat gesagt, sie fühlt das! Es war aufregend!« Jonathan zuckte mit seinen kleinen, dünnen Schultern. »Ist mir aber alles ganz egal. Ich will keine andere Schwester haben. Hannah ist meine Schwester. Und sonst niemand.«
    Als wir nach Hause kamen, war meine Mutter bereits wieder unterwegs zur Klinik. Zvi hatte heute am späten Nachmittag einen Termin in der Stadt und mein Vater bürdete Lori und Mr Goldblum gerade ein paar weitere Aufträge aus seinem überquellenden Auftragsbuch auf.
    »Dabei habe ich schon Arbeit bis zum Abwinken«, murmelte Lori düster. Aber er notierte sich dennoch alles Nötige.
    Mr Goldblum schaute finster, nickte knapp und machte sich ebenfalls Notizen. Er schrieb wie gewöhnlich in Steno. Als Kinder waren David und ich fasziniert von dieser Art des Schreibens gewesen.
    Esther war nicht im Garten und nicht im Wohnzimmer.
    »Wo steckt sie?«, fragte David unseren Vater, wusch sich die Hände und machte sich auf den Weg in die Küche, um das Abendbrot zuzubereiten.
    »Am Apple«, war die knappe Antwort. »Schreibt mit diesem Heinrich Müller aus Schottland hin und her. Es geht um ein geplantes Holocausttreffen im kommenden Jahr in Deutschland.«
    In Deutschland . Konnte es sein, dass wir alle zusammenzuckten, nur weil Rosa Luise Lovell aus Hollywood, die keiner von uns je gesehen hatte, ebenfalls aus Deutschland stammte?
    Leise ging ich zum Arbeitszimmer meiner Eltern. Es war auf unserem Stockwerk. Das geschäftliche Büro der Geigenwerkstatt war im Erdgeschoss wie die übrigen Werkstatträume. Dort roch es nach Holz, Leim, Staub und Sägespänen. Alle Greenbergkinder liebten diesen Duft. – Alle Greenbergkinder. Und ich. – Und dieses fremde Mädchen aus Hollywood? Sie hatte ihn tatsächlich noch nie gerochen, denn sie – sie gehörte hier nicht her.
    So war es doch! So und nicht anders. Ich gehörte in dieses Haus. Dies war meine Familie: meine Eltern, meine Brüder, meine Großeltern in Ramat Aviv, meine Urgroßmutter.
    Wer war diese Sky Lovell überhaupt? Wie sah sie aus? Ich versuchte, sie mir vorzustellen, aber ich schaffte es nicht. Alles, was ich sah, war ein verschwommenes, dunkelhaariges, schwerfälliges, dummes und dreistes Mädchen, das ich nicht sehen wollte. Niemals! Um keinen Preis!
    Esther saß an dem Schreibtisch meines Vaters vor unserem alten Apple und war in sich zusammengesunken. Sie schnarchte leise. Das kleine Chatfenster des Holocaust-Chats war noch geöffnet, aber hinter Heinrichs Name stand jetzt offline .
    Esther? Esther? Bist du noch da? , war sein letzter Kommentar gewesen. Ich überflog gedankenverloren den Kommentar, der darüber stand.
    Hast du den Deinen in der Zwischenzeit von Annegret erzählt?, stand da. Spätestens jetzt, wo das mit Hannah geschehen ist, wäre es

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