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Wenn du mich brauchst

Wenn du mich brauchst

Titel: Wenn du mich brauchst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Frey
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ein paar Stunden noch gemütlich nebeneinander geschlafen hatten.
    »Weil es das einzig freie Zimmer in diesem Haus ist«, sagte ich und stopfte wahllos Klamotten, DVDs, Schminksachen und CDs in den alten Army-Rucksack, den ich mal auf einem Kriegsveteranenflohmarkt gekauft hatte.
    »Sky, jetzt dreh nicht durch«, sagte Kendra leise.
    Aber so fühlte es sich an. Genauso fühlte es sich an. Es fühlte sich an, als drehte ich durch.
    »Sky, komm runter!«, rief Moon drei Tage später. Er war im Garten unter seinem Olivenbaum. Es war Sonnenuntergangszeit. Seit gestern konnte er tatsächlich den ganzen Text des Buches Schlachthof 5 auswendig. Dauernd sprach er ihn vor sich hin, ganz wie in der letzten Szene von Fahrenheit 451 . Jetzt hatte er wieder einen neuen Dichter am Wickel, diesmal Edgar Allen Poe.
    »Seine Texte knallen mir direkt in die Seele, Sky«, hatte er mir heute früh mitgeteilt, als wir uns beim Ins-Bad-Gehen und Das-Bad-Verlassen begegnet waren. »Ich brauche so was jetzt. Diese Angehaltene-Atem-Stimmung im Haus macht mich fertig! Leek klebt hier fest, als wollte er nie mehr gehen, und Rosie betreibt ihre berühmte Vogel-Strauß-Politik. Es ist zum Kotzen, wirklich.« Moon seufzte und lehnte sich gegen den Badezimmertürrahmen. »Wenigstens vögeln sie nicht wie sonst«, sagte er dann. »Das ist doch schon mal was. Man muss auch mit Kleinigkeiten zufrieden sein! Wahrscheinlich ist das der Hamburger Einfluss. Oder es ist deinetwegen. Wer weiß. Irgendwas hat ihnen jedenfalls schwer auf die Libido geschlagen.« Er musterte mich. Sein T-Shirt war vorne komplett mit düsteren Poe-Texten bekritzelt.
    »Das mit deinen Haaren war übrigens eine Kurzschlussreaktion, Sky«, sagte er missbilligend. »Du hattest schon bessere Ideen.«
    Kendra war heute mit ihrem Bruder Desmond unterwegs, der zu Besuch gekommen war.
    Gershon war vor drei Tagen vergeblich bei mir vorbeigekommen. Ich hatte mich geweigert, ihn oder irgendjemand anderen – außer Kendra – zu sehen.
    »Was hat sie denn?«, hörte ich seine Stimme unten im Garten durch Godots Gebell hindurch. Die Hamburger schienen ihn seelisch aus dem Gleichgewicht zu bringen. Nachdem er sich in ihrer Gegenwart wenigstens nicht mehr übergeben musste, bellte er jetzt stattdessen dauernd wie ein Wilder.
    »Sie … sie fühlt sich nicht wohl«, sagte Kendra.
    »Sie hat ihre Tage«, sagte Moon gnadenlos.
    »Moon!«, rief Kendra entsetzt.
    »Was ist dabei?«, fragte Moon.
    »Es stimmt nicht, dass sie ihre Tage hat«, erklärte Kendra.
    »Wie auch immer«, hörte ich Gershons Stimme und sie klang jetzt verlegen. »Grüßt sie von mir – und – hier sind ein paar Fotos, die wir beim Ball aus Spaß zusammen mit meiner Digitalkamera gemacht haben. Ich habe die besten ausgedruckt.«
    »Danke«, sagte Kendra.
    Gershon. Gershon Gold. Er war Jude. Wie diese Greenbergs.
    Wie das Mädchen wohl mit Vornamen hieß?
    Sie war von Rosie geboren. Sie war Leeks Tochter. Moons wahre Schwester. Die Enkelin von Dorothea und Herrmann Marsirske. Und die wirkliche Urenkelin von Old Niall aus Belfast.
    Das Leben war zum Durchdrehen.
    »Sky! Komm doch mal runter!«, rief Moon in dem Moment wieder. »Die Sonne ist schon fast weg. Endzeitstimmungslicht der Superlative.«
    Aber Sky war in Beverlywood. Nur hatte sie bestimmt einen gesellschaftsfähigeren Namen.
    Ich war eine Jüdin. Wie Gershon. Und was hatte er gesagt? Die Welt war voller Antisemiten.
    Diese Welt war einfach nur Mist.

18. HANNAH
    Jonathan ging es besser, wenigstens im Moment.
    »Ich habe schon sechsundzwanzig Dollar verdient, Hannah«, berichtete er mir stolz.
    »Sagen wir, du hattest sie hinter den Ohren«, antwortete ich seufzend und schaute auf meine Uhr. In einer halben Stunde würde mich Zvis Frau, Hayley, hier ablösen. Meine Eltern, immer noch zerstritten, waren heute Nachmittag unterwegs und David hatte ein Cellokonzert.
    Jonathan bekam starke Medikamente und sein sonst schmales Gesicht war unnatürlich rund geworden. Ich hatte ihn, als ich kam, von der Dialyse-Station abgeholt. Seit seine Nieren nicht mehr richtig arbeiteten, wurde einmal in der Woche sein Blut gereinigt.
    Im Moment ließ er sein neues Spielzeugauto über sein Bett rasen.
    »Wann kommt das andere Mädchen?«, fragte er plötzlich.
    Ich schwieg.
    »Han? Sag doch!«
    »Was?«
    »Wann das andere Mädchen kommt.«
    »Ich weiß es nicht, Joni.«
    »Sie soll mir Knochenmark spenden, wenn sie das richtige Puzzlestück ist.«
    »Ja, ich weiß.«
    »Ich finde das

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