Wenn du mich siehst - Hudson, T: Wenn du mich siehst - Hereafter
die Augen auf und betrachtete den sonnigen Tag – der mir nach all der Dunkelheit und dem Eis so willkommen war – und betete, dass es nicht zu spät war, um mich wie versprochen mit Joshua zu treffen. Ich erhob mich und dehnte jede Sehne, auch wenn es kaum nötig war.
» Schnell, Amelia«, ermahnte ich mich laut. » Mach schnell.«
Und ich lief los, so schnell es mir irgend möglich war, zu Joshuas Schule.
Ich stieß einen gewaltigen Seufzer der Erleichterung aus, als ich endlich den Parkplatz der Wilburton Highschool erreichte, auf dem es immer noch von Autos wimmelte. Ich schlängelte mich durch die hintersten Reihen, um einen besseren Blick auf die Schule selbst zu erhaschen. Vor den niedrigen Gebäuden liefen zahlreiche Schüler herum und warteten auf das Ende der Mittagspause, wie ich hoffte.
Ich richtete meine Aufmerksamkeit auf die Autos und suchte. Mehrere schwarze Limousinen befanden sich auf dem Parkplatz, doch schon bald hatte ich die mir vertrauteste entdeckt. Ich ging hinüber, wobei ich mich so schnell wie möglich bewegte, während ich gleichzeitig mein Kleid einer raschen Musterung unterzog. Sobald ich mir relativ sicher war, dass ich nicht wie eine Verrückte aussah, die gerade eben auf einem Friedhof aufgewacht war, stellte ich mich neben das Seitenfenster auf der Fahrerseite von Joshuas Wagen und verschränkte die Arme auf dem Rücken.
Joshua saß im Auto, den Kopf auf die Arme gestützt, die er auf das Lenkrad gelegt hatte. Nach nur wenigen Sekunden blickte er auf. Die Mittagssonne ließ sein Gesicht erstrahlen, und einen Moment lang blinzelte ich überrascht.
Er sah schrecklich aus, jedenfalls so schrecklich, wie Joshua eben aussehen konnte. Seine Haare waren völlig durcheinander, er hatte dunkle Ringe um die Augen und hätte eine gründliche Rasur vertragen. Doch als diese mitternachtsblauen Augen in die meinen sahen, konnte ich nicht anders, als ein glückliches Seufzen auszustoßen.
Warte, formte er unhörbar mit den Lippen und beugte sich dann zur Beifahrerseite hinüber. Ich vernahm ein metallisches Klicken, als die Beifahrertür aufsprang, also ging ich um den Wagen herum und schlüpfte hinein. Joshua zog die Tür hinter mir zu.
Immer noch über mich gebeugt, den Mund gefährlich nah an meinem Ohr, murmelte er: » Hi, Amelia.«
» Hi, Joshua«, erwiderte ich leise und behielt die Hände fest in meinem Schoß, statt sie ihm um den Hals zu schlingen, wo sie eigentlich sein wollten.
Joshua lehnte sich in seinem Sitz zurück und versuchte erfolglos, ein Gähnen zu unterdrücken. Das brachte mich zum Lächeln und half mir dabei, mich wieder darauf zu konzentrieren, was wir zu besprechen hatten. Angesichts seines zerzausten Erscheinungsbilds entschied ich mich dazu, mit dem Offensichtlichen anzufangen.
» Ähm, Joshua? Du weißt, dass du dein T-Shirt linksrum anhast, stimmt’s?«
Er blickte an seinem grauen T-Shirt hinunter. » Ha! Na, so was!«
Mit einer schnellen Bewegung zog Joshua sich das T-Shirt über den Kopf und wendete es richtig herum. Jetzt hatte ich freien Blick auf seine Brust und seine Bauchmuskeln, und auf einmal wusste ich nicht mehr, wie man atmete. Was offensichtlich kein Problem dargestellt hätte, bloß dass ich gleichzeitig nach Luft zu schnappen begann. Joshua beobachtete meinen ganzen Kampf aus dem Augenwinkel und grinste, als er sich das T-Shirt wieder über den Kopf zog.
Verzweifelt versuchte ich, die Fassung wiederzuerlangen. Schließlich hatte ich mich so weit beruhigt, dass ich fragen konnte: » Also, irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir zuerst über deine Nacht sprechen sollten?«
Lachend fuhr Joshua sich mit einer Hand über die Bartstoppeln an seiner Wange. » Okay, dann also ich zuerst.« Er streckte die Beine aus und warf mir dann einen seltsamen, abschätzenden Blick zu. » Meine Nacht war … interessant.«
» Inwiefern?«
» Tja, die Mayhews hatten eine lange Diskussion bezüglich Ruths geistiger Gesundheit, was einer gewissen Ironie nicht entbehrt, wenn man bedenkt, dass ich der Einzige bin, der mit Sicherheit wusste, dass sie nicht verrückt war.«
Ich zog eine Grimasse. » Tut mir leid.«
» Bloß nicht«, sagte er mit einem grimmigen Lächeln. » Es war überhaupt nicht mit der fürchterlich langen Predigt zu vergleichen, die Ruth mir angedeihen ließ, nachdem sie alle von ihrer geistigen Gesundheit überzeugt hatte.«
» Sie hat dir eine Strafpredigt gehalten, weil du zu spät zum Abendessen erschienen bist?«, fragte ich
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