Wenn du mich siehst - Hudson, T: Wenn du mich siehst - Hereafter
begegnen, gleich nachdem das eigene Herz aufgehört hat zu schlagen.« Seufzend rieb er sich die Stirn. » Ruth sagt, ich fühle mich überhaupt nur zu dir hingezogen, weil … Ich weiß nicht … Weil ich genetisch darauf programmiert bin, dich zu jagen. Ihre Version eines Sehers ist jemand, der etwas mit seiner › Gabe‹ vollbringt und nicht nur ihre Vorzüge genießt, wie ich es getan habe. Mit anderen Worten, Seher nutzen die Gabe des Sehens gegen Geister. Anscheinend soll ich entsprechend mit dir verfahren.«
Ein lastendes Schweigen legte sich über das Auto. Unerklärlicherweise heftete sich mein Blick auf das Armaturenbrett. Nachdem ich ein paar Sekunden lang nach unsichtbaren Mustern in dem Leder gesucht hatte, rührte ich mich. Als ich endlich wieder zu Joshua sah, waren seine Augen immer noch geschlossen, sein Körper immer noch reglos.
» Also«, flüsterte ich, » bedeutet das, dass du fortan meine Hilfe in Mathematik nicht mehr willst?«
Joshua schlug die Augen auf und sah in die meinen. Mir wurde ein wenig schwindelig, als ich in all das dunkle Blau starrte, auch wenn er nicht über meinen schlechten Witz lachte.
» Das ist Punkt Nummer vier«, sagte er. » Siehst du, meine Großmutter bleibt eisern bei ihrer Meinung, dass ich meine Zeit nicht mit dir verbringen sollte.«
Obwohl seine Stimme sanft klang, zuckte ich zusammen. Ich wollte nicht hören, was gleich käme. Wirklich nicht.
Joshua überraschte mich jedoch, indem er lächelte, als er fortfuhr: » Aber ich muss dir schon sagen, Amelia, ich will meiner Liste an außerschulischen Aktivitäten nicht auch noch die Teilnahme an einem Hexenzirkel hinzufügen.«
Ich erfasste langsam die Tragweite seiner Worte und spürte, wie ich zu lächeln begann. » Und ich dachte, du wärst so ein Vereinsmeier.«
Joshua lachte nur, doch ich wollte noch nicht lockerlassen. » Bloß um eines klarzustellen: Du wirst kein Seher werden und zwecks Verbannung Jagd auf mich machen?«
» Ich glaube nicht, dass ich aufhören kann, Seher zu sein«, sagte er. » Es ist jetzt wohl einfach Teil dessen, wer oder was ich bin. Aber was den ganzen Kram von wegen Geistervertreibung betrifft … danke, aber wirklich nein danke.«
Der leichte Schmerz in meiner Brust meldete sich zum ersten Mal seit Stunden. Doch bevor ich mich zu früh freute, musste ich mich noch einer Sache vergewissern.
» Bloß um es, du weißt schon, noch klarer zu stellen«, hakte ich nach. » Du wirst dein Erbe nicht antreten, weil …«
Joshua grinste, gequält und süß wie beim ersten Mal, als er mich auf der High Bridge angelächelt hatte. » Weil ich dich nicht gleichzeitig jagen und mit dir zusammen sein kann, nicht wahr?«
» Mit mir › zusammen‹ sein?«, flüsterte ich.
Joshua antwortete nicht. Stattdessen streckte er die Hand aus.
Unsicher, was ich tun sollte, starrte ich seinen ausgestreckten Arm einen Moment lang an. Es war eine furchteinflößende, erregende Vorstellung – seine Hand zu halten, ihn mehr als nur ein paar kurze Sekunden lang zu berühren. Mit einem leichten Zittern streckte ich zögernd die Hand aus und legte sie in seine.
Wieder einmal schoss pulsierendes Feuer durch meine Venen. Joshua und ich reagierten, wie wir es bei unserer ersten Berührung getan hatten – keuchend, lächelnd, mit dem instinktiven Bedürfnis, vor dem Stromstoß zurückzuzucken. Doch wir kämpften gegen den Reflex an und hielten uns stattdessen fest an der Hand.
Anfangs umschloss seine Hand die meine und hielt sie auf formelle, beinahe geschäftsmäßige Art und Weise. Dann, ganz langsam, bewegte er unsere Hände im Kreis, bis sie senkrecht aufragten, Handfläche an Handfläche. Joshua drehte kaum merklich das Handgelenk, schlang seine Finger zwischen den meinen hindurch und hielt meine Hand umschlossen. Ich bog meine Finger nach unten, um seine Hand ebenfalls zu umschließen.
Sobald unsere Hände ineinander verschlungen waren, änderte sich die Energie, die über meine Haut kroch, kaum merklich. Das konstante Feuer hatte jetzt nicht mehr seinen Ursprung in meiner Hand und breitete sich in meinem restlichen Körper aus, sondern umgab mich überall außer an der Hand, die die seine umschlossen hielt. Jene Hand fühlte sich an, als würde sie an der gesamten Handfläche, die Joshuas berührte, von kleinen Stichen übersät – wie das Kribbeln einer eingeschlafenen Gliedmaße. Als würde meine Hand erwachen.
Der Vergleich passte noch besser, als das Kribbeln aufhörte und von etwas völlig
Weitere Kostenlose Bücher