Wenn du mich siehst - Hudson, T: Wenn du mich siehst - Hereafter
hoffnungsvoll, töricht, obgleich ich die Antwort längst kannte.
Joshuas Lächeln wurde sanft, doch seine Miene ließ keinen Zweifel daran, was er gleich sagen würde. » Nein, Amelia. Sie hat mir deinetwegen eine Strafpredigt gehalten.«
Ich sog scharf die Luft ein. Ruhig, ermahnte ich mich selbst. Bleib ruhig.
In meinem beiläufigsten Tonfall fragte ich: » Oh? Und was hatte sie zu sagen?«
Joshua lachte bitter auf. » Was sagen Familien denn für gewöhnlich? › Halt dich von der da fern, sie bringt dir nichts als Ärger.‹ In dem Fall ist der › Ärger‹ natürlich ein bisschen eigenartiger als bei einem Mädchen, das raucht oder zu viele Piercings hat.«
Ich schnitt erneut eine Grimasse. » Um es behutsam zu formulieren, stimmt’s?« Ich streckte die Hand nach dem Türgriff aus, obwohl ich ihn nicht betätigen konnte. » Wenn du bloß eben für mich aufmachst, kann ich hier raus und aufhören, dein Leben zu vermasseln …«
» Amelia.«
Bei Joshuas Tonfall drehte ich mich wieder zu ihm um. Er schenkte mir noch ein sanftes Lächeln. » Wieso hörst du dir nicht meine ganze Geschichte an, bevor du davonläufst?«
Argwöhnisch ließ ich mich in meinen Sitz zurücksinken. » Okay. Kann ich machen. Vorerst.«
Er drehte sich weiter zu mir und schloss beim Sprechen die Augen, was seine Erschöpfung verriet. » Weil wir nicht so viel Zeit haben, werde ich dir bloß die Hauptpunkte erzählen. Punkt Nummer eins hast du bereits vernommen: Ruth glaubt, dass die High Bridge und der Fluss darunter böse sind.«
» Keine Widerrede in der Hinsicht«, murmelte ich. Da Joshua ein Auge aufschlug, fügte ich hinzu: » Davon erzähl ich dir später.«
Mit einem Nicken schloss er wieder die Augen. » Ruth zufolge hat sie nach der Geburt meines Vaters im Grunde darauf bestanden, dass die Familie in die Gegend hier zieht, einzig und allein deshalb, um den Fluss zu hüten … um die Leute vor dem zu schützen, was auch immer ihn beherrscht. Angeblich haben viele Leute das Gleiche getan, einschließlich ihrer Freundinnen und deren Familien. Weil die Gegend so › übernatürlich aufgeladen‹ ist – Ruths eigene Worte, das schwöre ich.«
Joshua schnaubte kopfschüttelnd. Nach einer weiteren langen Pause fuhr er fort: » Das ist Punkt Nummer zwei und der wahre Grund, warum Ruths Freundinnen sich immer so unheimlich aufführen: Sie sind wirklich eine Gruppe von … Ich weiß nicht … Geisterjägern. Ihre ganze Mission besteht darin, nach › ungebundenen‹ Geistern Ausschau zu halten und sie zu verscheuchen. Sie zu verbannen. Einen bestimmten ungebundenen Geist jagen sie nun schon seit Jahren. Irgendeinen Kerl, hat Ruth gesagt. Aber als du bei uns zu Hause aufgetaucht bist … na ja, du kannst dir Ruths helle Aufregung ja vorstellen, oder?«
Schockiert lehnte ich mich in meinem Sitz zurück.
Waren » gebundene« Geister vielleicht die angeworbenen Seelen, die Eli in der Welt des Übernatürlichen gefangen hielt? Würde das dann aus Eli einen » ungebundenen« Geist machen, einen, der sich zwischen den Welten hin- und herbewegen konnte?
Eli musste der Geist sein, auf den sie Jagd machten. Also … bedeutete das, dass sie mich ebenfalls jagen würden?
War ich ebenfalls ein ungebundener Geist?
Mit einem matten Lächeln schüttelte ich den Kopf und fragte: » Fühlt es sich nicht gut an zu wissen, dass deine Grandma in Wirklichkeit gar nicht verrückt ist?«
Joshuas Mundwinkel hoben sich, allerdings nicht sehr. » Nicht wirklich, Amelia. Nicht, wenn wir zu Punkt Nummer drei kommen. Anscheinend möchten die Hexen von Wilburton, dass ich ihrem kleinen Hexenzirkel beitrete.«
» Was?«, stieß ich keuchend hervor.
» Ruth sagt, es sei mein Erbe. Mein Schicksal, was immer das bedeuten mag. Ich stamme von einer langen Reihe von › Sehern‹ ab, und ich kann nichts dagegen tun.«
» Sehern?«
» Ja. Menschen, die das Übernatürliche sehen können. Vor allem ungebundene Geister. Ruth sagt, wahrscheinlich habe ich sie immer schon spüren können, ohne wirklich zu wissen, was ich gespürt habe. Deshalb hat sie mir diese Geistergeschichten erzählt, als ich ein Kind war – als eine Art Training. Die einzige Möglichkeit, Geister zu sehen, ist jedoch, dass man ein › auslösendes Ereignis‹ durchlebt. Etwas, was einen zwingt, die Geisterwelt bewusst wahrzunehmen.«
» Vielleicht wie … einem toten Mädchen zu begegnen, gleich nachdem das eigene Herz aufgehört hat zu schlagen?«
»Genau wie einem toten Mädchen zu
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