Wenn du mich siehst - Hudson, T: Wenn du mich siehst - Hereafter
anderen.«
Wieder ließ ich mir nichts von ihm weismachen. Obwohl er ernst klang, als er nickte, glitzerten seine Augen aufgrund seines neuen Einfalls. Diesmal gab ich mir noch nicht einmal die Mühe, mein Seufzen zu verbergen, als er auf den Hintereingang zueilte.
Wir betraten die Schule und schlenderten durch ihre Flure – von denen mir jeder einzelne vertraut vorkam, genauso wie es zuvor die Gebäude selbst getan hatten –, bis wir eine Flügeltür erreichten. Durch die Glasscheiben darin sah ich reihenweise hohe Bücherregale. Ich packte den Stoff meines Rocks und wickelte ihn mir hektisch um die Finger.
Eine Hand gegen den einen Türflügel gepresst, blickte Joshua zu mir herunter. Obwohl er jetzt ein bisschen weniger begierig aussah, war seine Miene immer noch entschlossen. Ob es mir nun passte oder nicht, er würde den Raum betreten.
» Bereit?«, fragte er.
Nein.
» Sicher«, brachte ich mit piepsiger Stimme hervor.
Er nickte und stieß die Tür auf. Ich räusperte mich, um das dumme Piepsen loszuwerden, wappnete mich ein wenig und folgte ihm dann in die Bibliothek.
Ein langer Empfangstisch hütete den Eingang. Auf der Platte stapelten sich zurückgegebene Bücher, und die Seiten des Tisches waren mit etlichen inspirierenden Postern beklebt. Eines verkündete: DU SCHAFFST ES!, also schenkte ich dem Poster einen wütenden Blick.
Joshua ging zielsicher auf den hinteren Bereich der Bibliothek zu, und ich folgte ihm, während er im Zickzack durch die Regalreihen lief. Schließlich blieb Joshua zwischen der letzten Regalreihe und der hintersten Wand der Bibliothek stehen.
Den ganzen veralteten Lexika und Enzyklopädien nach zu urteilen, befanden wir uns in der Abteilung mit den Nachschlagewerken. Joshua ging an ihnen vorbei und bückte sich zu ein paar Regalfächern in Bodennähe hinunter. Er kauerte sich hin und fuhr mit dem Zeigefinger eine Reihe dünner Bände entlang, die alle schwarz oder dunkelrot eingebunden waren. Ich erschauerte.
Jahrbücher.
Nur ein paar Augenblicke später hatte Joshua anscheinend die Bücher gefunden, nach denen er suchte. Er zog etliche auf einmal heraus und las die Buchrücken, bevor er die Bände zurückstellte oder sich unter den Arm klemmte. Als er endlich aufstand, hielt er etwa zehn Jahrbücher der Wilburton Highschool im Arm. Ich lehnte mich zur Seite und starrte ihre Buchrücken an. In verschiedenen Tönen metallischer Tinte gedruckt, standen dort Daten, die alle von den 1990er Jahren bis in die Mitte der 2000er reichten. Ich richtete mich wieder auf und starrte Joshua entsetzt an.
Joshua hingegen blieb ganz sachlich, als er den Stapel Jahrbücher zu einem Schreibtisch hinübertrug. Er teilte die Bücher in zwei Stapel auf der Tischplatte, zog mir einen Stuhl heraus und setzte sich auf seinen eigenen. Ich ließ mich auf meinen Stuhl gleiten und faltete die Hände im Schoß, unsicher, was ich als Nächstes tun sollte.
Joshua schob einen Stapel näher zu mir und zog dann den anderen zu sich. Er schlug das Jahrbuch oben auf seinem Stapel auf und blätterte die Seiten um, bis er die erste mit Schülerfotos gefunden hatte. Er legte einen Finger auf die Seite und musterte die Fotos, wobei er jedes Gesicht mit dem dazugehörigen Namen in Verbindung brachte, der in der Nähe der Seitenränder abgedruckt war.
Nachdem er das ein paar Minuten lang getan hatte, räusperte ich mich. Er blickte zu mir auf, die Stirn weiterhin vor Konzentration in Falten gelegt. Dann runzelte er sie noch heftiger und legte den Kopf schräg.
» Warum schaust du nicht deine Bücher durch?«, flüsterte er. Ich antwortete mit meiner normalen Stimme, auch wenn ich an sich voller Verlegenheit war.
» Weil ich die Bücher nicht aufschlagen kann, Joshua.«
» Hä?«
Ich starrte auf meinen Schoß und kratzte mit einem Fingernagel an meinem Kleid herum. » Ich habe dir doch gesagt, du bist das Einzige in der Welt der Lebenden, was ich spüren oder worauf ich eine Wirkung haben kann. Ich kann keine Türen öffnen, schon vergessen? Warum sollte ich also in der Lage sein, ein Buch aufzuschlagen?«
Ich zuckte einfach mit den Schultern, doch Joshua schob mir einen Finger unter das Kinn und hob meinen Kopf, bis ich seinen Blick erwiderte.
Als ich ihn ansah, klang Joshua ebenfalls verlegen. » Da hab ich wohl nicht nachgedacht. Tut mir leid.«
Ich zuckte erneut mit den Schultern, diesmal matt lächelnd. » Ist schon gut.«
Er ließ sich nichts vormachen, sondern schüttelte den Kopf, widmete sich
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