Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition)
Tagesanbruch am Strand sein. Mit einem Kranz.«
»Bevor der Kran das U-Boot hebt?«
»Ja.«
»Es tut mir leid, Dad.«
»Widerlich«, grollte sein Vater. »Ein Geldsack, dieser Landry. Es macht mich krank zu sehen, wie solche Idioten die Flagge und den Krieg vor ihren eigenen Karren spannen. Landry beutet unsere Geschichte aus, nimmt sie uns, und das alles im Namen des Patriotismus; und wenn er aus allem ein hübsches Kriegsmuseum daraus macht, wird der Krieg am Ende noch verherrlicht. Kannst du sie nicht aufhalten, Tim?«
»Ich versuche es.« Tim fragte sich, ob seinem Vater jemals in den Sinn gekommen war, dass er Frank den Krieg in den rosigsten Farben geschildert haben könnte.
»Wie bitte?« Das klang, als hätte sein Vater vorhin eine rein rhetorische Frage gestellt. Tims Herz war von einem Eisenpanzer umgeben, wenn es um seinen Vater ging – doch der hoffnungsvolle Unterton in seiner Stimme ließ darauf schließen, dass mehr dahintersteckte, als Tim sich eingestehen wollte.
»Ich sagte, ich versuche es.«
»Ich würde dir gerne dabei helfen. Ich hocke hier in der Einöde und habe keine andere Gesellschaft als die verletzten Vögel und Franks Bild. Tim, lass mich bitte helfen.«
»Ich muss los. Ich rufe dich an, wenn mir etwas einfällt.« Er legte auf, schweißgebadet und mit klopfendem Herzen. Er war kurz davor gewesen, seinen Vater einzubeziehen, ihm eine Aufgabe zu übertragen, auf die sich keiner besser verstand als er – doch dann hatte sein Vater Franks Bild erwähnt und aus war’s.
Das Telefon läutete abermals und er beschloss, nicht abzuheben. Wahrscheinlich rief sein Vater nochmals an, um das Gespräch fortzusetzen, seinen Fehler wiedergutzumachen. Aber es gab nichts wiedergutzumachen. Tim hatte ebenfalls Fotos von Frank. Und die Flagge, die man auf seinen Sarg gelegt hatte.
Das Telefon läutete so schrill in seinen Ohren, dass Tim es keine Sekunde länger aushielt.
»Hallo!«, brüllte er in den Hörer.
»Tim?« Eine Frauenstimme.
»Ja«, erwiderte er misstrauisch, noch immer auf hundertachtzig.
»Ich bin’s, Neve.«
»Oh, hallo, Neve.« Er atmete tief durch, um sich zu beruhigen.
»Ich hätte da eine Frage.«
»Nur zu. Worum geht es?«
»Gilt die Einladung zum Essen noch?«
»Natürlich.« Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Sicher.«
»Ich würde gerne die Chance nutzen, ein wenig mehr über Berkeley zu erfahren.«
Sie rief ihn an, weil sie ihn für ihre Recherche brauchte? »Ich werde Ihnen alles sagen, was ich weiß.« Er versuchte, sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. »Heute Abend?«
»Wäre morgen Abend auch recht?«
»Gut. Ich hole Sie ab. Sagen Sie mir, wann.«
»Um sieben?«
»Ich werde pünktlich sein.«
Er legte auf, verstaute Mickeys und Shanes Papiere wieder im Ordner, zog seine Jacke an und ging an den winterlichen Strand hinaus, in die kalte Seeluft, schlug den Weg zum Anlegesteg ein, um die Schneezäune auszubessern und das stetige Geräusch des Wassers und des wehenden Windes aus seinen Gedanken zu vertreiben.
15
J oe ging ans hintere Ende der Scheune, blieb vor dem Käfig der verletzten Schneeeule stehen und spähte durch den Maschendraht. Er behauptete, dass ihm alle Vögel, oder zumindest alle Raubvögel, gleichermaßen lieb waren, aber in Wirklichkeit fühlte er sich den Eulen am meisten verbunden. Sie besaßen etwas Mystisches und standen in dem Ruf, weise zu sein – wann immer er in ihre ruhigen, strahlenden Augen blickte, hatte er den Eindruck, dass sie mehr wussten als er.
Joe ging in die Hocke, um auf Augenhöhe mit der Eule zu sein, die am hinteren Ende des Käfigs kauerte. Mrs. Halloran hatte ihm einen großen Dienst erwiesen, als sie das verletzte Tier zu ihm brachte. Nicht nur, weil er hoffte, dass sich das Männchen, falls es genas mit dem Weibchen paarte, sondern weil die Schneeeule ihn an seinen Bruder erinnerte. Er hatte sich Damien seit vielen Jahren nicht mehr so nahe gefühlt. Während er in der eiskalten Scheune kauerte und sowohl vor Kälte als auch den Gefühlen, die ihn bewegten, zitterte, versuchte er, mit seinem Blick den dunklen Raum zu durchdringen.
»Er hat mich angerufen«, sagte Joe laut. »Tim. Meinte, er hätte eine Frage an mich. Hatte mit dem U-Boot zu tun, möglicherweise. Der Grund spielt keine Rolle, oder? Wichtig ist, dass sich mein Sohn bei mir gemeldet hat.«
Die Eule saß reglos da. Es war nicht so, dass Joe senil wurde und den Vogel für seinen Bruder hielt. Mitnichten.
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