Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition)

Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition)

Titel: Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
Vom Netzwerk:
Holzlatten bildete. Darin hatten sich Seetang und Treibholz, Muscheln und Rocheneierschalen verfangen – die neuenglische Version einer Steppenhexe. Oder eine avantgardistische Skulptur – vielleicht könnte Neve eine entsprechende Ausstellung arrangieren.
    Doch statt sich schnurstracks an den Strand zu begeben, beschloss er, einen kurzen Blick auf das Informationsmaterial zu werfen, das ihm Mickey und Shane gebracht hatten. Vermutlich war es Kinderkram – der Griff nach dem sprichwörtlichen Strohhalm, um zu erreichen, dass man das U-Boot an Ort und Stelle beließ. Shane hatte bereits eindeutig Stellung bezogen, er würde das Surferparadies nicht kampflos aufgeben. Mickey und ihre Begegnung mit den ertrunkenen Mitgliedern der U-Boot-Besatzung zerrissen ihm persönlich zwar fast das Herz, aber er war sich nicht sicher, ob sie damit irgendeinen Einfluss auf den Bergungstermin im April nehmen konnte.
    Er setzte sich also um halb neun an den Schreibtisch und wandte seine Aufmerksamkeit dem Ordner zu, in der Erwartung, in fünf bis zehn Minuten fertig zu sein. Nach drei Minuten standen ihm die Haare zu Berge. Um zehn Minuten vor zehn hatte er sich immer noch nicht von der Stelle gerührt. Er hatte jede einzelne Information unter die Lupe genommen, die sie bei ihrer Recherche ausgegraben hatten, und einige Quellen sogar im Internet überprüft. Die beiden hatten die Namen der fünfundfünfzig Deutschen und der zwei Amerikaner herausgefunden, die damals ums Leben gekommen waren. Und nicht nur das, sie hatten auch etliche Adressen übers Internet ausfindig gemacht. Um zehn kochte Tim die nächste Kanne Kaffee, schenkte sich einen großen Becher ein und überlegte, ob die Anschriften noch stimmen konnten.
    Um halb elf war er ziemlich sicher, dass es ihnen gelingen müsste, einen oder beide Senatoren für ihr Anliegen zu gewinnen.
    Die ganze Zeit spukte ein vager Gedanke in seinem Hinterkopf herum, der sich nicht verscheuchen ließ. Er versuchte, ihn zu verdrängen und sich einzureden, dass es andere Möglichkeiten gab, der Sache auf den Grund zu gehen. Er hätte im nächstbesten Geschichtsbuch nachschauen können, in dem die Navy, Operation Drumbeat, die U-Boot-Jagdverbände, U-823 und die USS James erwähnt waren. Jedes Geschichtsbuch, das den Zweiten Weltkrieg und Rhode Island zum Thema hatte – oder die Ostküste generell –, enthielt Schilderungen der Schlacht, die in unmittelbarer Nähe des Strandes stattgefunden hatte.
    Mickey hatte bereits begonnen, Briefe zu schreiben. Von zweien lagen Kopien bei. Nur noch dreiundfünfzig weitere standen an. Die beiden Amerikaner nicht mitgezählt. Aber es waren keine abstrakten Zahlen, um die es hier ging, sondern um reale Namen, reale junge Männer und die realen Hinterbliebenen von Seeleuten, die in einer längst vergangenen Schlacht ihr Leben verloren hatten.
    Um halb zwölf griff Tim zum Telefon und wählte. Als das Freizeichen ertönte, legte er auf.
    Zehn Minuten später machte er einen neuen Anlauf, wählte, hörte das Freizeichen und wie abgenommen wurde. Er legte abermals auf.
    Um viertel vor zwölf gab es kein Zurück mehr. Er wählte, ließ es klingeln und zwang sich, am Apparat zu bleiben.
    »Wer zum Teufel ruft mich dauernd an?«, knurrte die Stimme am anderen Ende der Leitung.
    »Hallo, Dad.«
    Schweigen. Langes Schweigen. Und dann: »Tim?«
    »Ja.«
    »Tim …«
    Nun war es an Tim, zu verstummen. Er umklammerte den Hörer und starrte seinen Schreibtisch an, bis die Papiere vor seinen Augen verschwammen. Seine Gedanken überschlugen sich, er dachte an die letzte Begegnung mit seinem Vater, wie sie sich gegenseitig angebrüllt hatten, Franks Gesicht damals wie heute im Vordergrund und Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit. Ich tue es für ihn, sagte er sich nun. Wie war er nur auf den Gedanken gekommen? Er verdrängte ihn, räusperte sich.
    »Dad, ich muss mit dir sprechen.«
    »Die Schneeeule. Du hast die Leute damit zu mir geschickt und rufst an, um dich nach ihrem Befinden zu erkundigen.«
    »Eigentlich …« Sein Vater unterbrach ihn.
    »Die Entscheidung war richtig. Mit solchen Verletzungen ist nicht zu spaßen. Den Flügel hat es schlimm erwischt; er ist zwar nicht gebrochen, wie ich zuerst dachte, aber verstaucht.«
    »Was ist mit dem Schnabel?« Über die Eule zu sprechen fiel ihm leichter, als Dinge anzuschneiden, die mit dem Krieg zu tun hatten – welcher Krieg es auch war. Vögel waren immer ein unkompliziertes Thema gewesen, eine Möglichkeit, auf

Weitere Kostenlose Bücher