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Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie

Titel: Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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auf und streckt eine Hand aus, um mich festzuhalten. »Bist du sicher, dass alles okay ist mit dir?«
    Â»Ich …« Mir fällt ein, dass ich nicht weiß, wohin, und dass ich sowieso niemanden habe, der mich fahren könnte. Den Gedanken an die grinsende Tara kann ich nicht ertragen und Lindsay kommt nicht in Frage. Inzwischen ist alles so schrecklich, dass es fast schon wieder lustig ist, und ich lache kurz auf. »Ich will nicht nach Hause.«
    Kent fragt nicht, warum, und ich bin ihm dankbar dafür. Er steckt einfach bloß die Hände in die Taschen. Die Umrisse seines Gesichts werden vom Licht nachgezeichnet, als glühte er.
    Â»Du könntest …« Er schluckt. »Du könntest auch hierbleiben.«
    Ich starre ihn an. Zum Glück ist es dunkel. Ich habe keine Ahnung, wie mein Gesicht aussieht.
    Er stottert schnell: »Nicht, ich meine, nicht zusammen mit mir. Natürlich nicht. Ich meinte bloß … na ja, wir haben mehrere Gästezimmer, schon mit bezogenen Betten und allem. Frisch bezogen natürlich, wir lassen die Bettwäsche nicht drauf, nachdem die Leute …«
    Â»Okay.«
    Â»â€¦Â darin geschlafen haben, das wäre ja eklig. Wir haben eine Haushälterin, die zweimal die Woche kommt und …«
    Â»Kent? Ich habe okay gesagt. Ich würde gerne hierbleiben. Wenn es dir nichts ausmacht.«
    Einen Augenblick steht er mit offenem Mund da, als wäre er sicher, dass er sich verhört hat. Dann nimmt er die Hände aus den Taschen, ballt sie zu Fäusten und öffnet sie wieder, hebt sie und lässt sie wieder sinken. »Klar, ja, natürlich, in Ordnung.«
    Aber er steht noch eine ganze Weile unbeweglich da und sieht mich einfach an. Mir wird wieder heiß, nur diesmal steigt mir die Hitze bis in den Kopf, macht alles trüb und so, als wäre es weit weg. Mir werden plötzlich die Augen schwer.
    Â»Du bist müde«, sagt er und seine Stimme klingt wieder sanft.
    Â»Es war ein langer Tag«, antworte ich.
    Â»Komm mit.« Er streckt seine Hand aus, und ohne darüber nachzudenken, nehme ich sie. Sie ist warm und trocken, und als er mich weiter ins Haus führt, weg von der Musik, hinein in die Schatten, schließe ich die Augen und denke daran, wie er früher immer seine Hand in meine geschoben hat und flüsterte: Hör nicht auf sie. Geh einfach weiter. Kopf hoch! Es ist fast so, als wäre gar keine Zeit vergangen. Es fühlt sich überhaupt nicht so verrückt an, dass ich hier mit Kent McFuller Händchen halte und mich von ihm irgendwohin führen lasse – es fühlt sich normal an.
    Die Musik verklingt vollständig. Alles ist ganz still. Unsere Schritte sind auf den Teppichen kaum zu hören und jedes Zimmer ist ein Netz aus Schatten und Mondlicht. Das Haus riecht nach poliertem Holz und Regen und ein kleines bisschen nach Rauch, als hätte vor kurzem ein Feuer im Kamin gebrannt. Ich denke: Das wäre ein tolles Haus, um eingeschneit zu werden.
    Â»Hier lang«, sagt Kent. Er öffnet eine Tür – die Scharniere quietschen – und ich höre, wie er nach dem Lichtschalter an der Wand tastet.
    Â»Nein«, sage ich.
    Er zögert. »Kein Licht?«
    Â»Kein Licht.«
    Ganz langsam führt er mich in das Zimmer. Hier drin ist es fast völlig dunkel. Ich kann kaum die Umrisse seiner Schultern erkennen.
    Â»Das Bett ist hier drüben.«
    Ich lasse mich von ihm dahin ziehen. Wir sind nur Zentimeter voneinander entfernt und ich habe das Gefühl, seinen Abdruck in der Dunkelheit zu spüren, als würde diese um ihn herum Form annehmen. Wir halten uns immer noch an der Hand, aber jetzt stehen wir uns gegenüber. Mir ist nie aufgefallen, wie groß er ist: mindestens zehn Zentimeter größer als ich. Er strahlt unheimlich viel Wärme ab. Sie ist überall, breitet sich aus, kribbelt in meinen Fingern.
    Â»Deine Haut«, sage ich, kaum ein Flüstern. »Sie ist ganz heiß.«
    Â»So ist das immer«, sagt er. Irgendwas raschelt im Dunkeln und ich weiß, dass er seinen Arm bewegt hat. Seine Finger schweben einen Zentimeter vor meinem Gesicht und es ist, als könnte ich sehen , wie sie vor Hitze weiß glühen. Dann lässt er seinen Arm sinken und nimmt die Wärme mit.
    Und es ist total seltsam, aber wie ich da mit Kent McFuller in einem Zimmer stehe, wo es so stockdunkel ist, dass man den Eindruck hat, irgendwo begraben

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