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Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie

Titel: Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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zu sein, spüre ich einen winzig kleinen Funken in mir, eine kleine Flamme ganz unten in meinem Bauch, die mir die Angst nimmt.
    Â»Im Schrank gibt’s noch mehr Decken«, sagt er direkt an meiner Wange.
    Â»Danke«, flüstere ich zurück.
    Er bleibt da, bis ich im Bett liege, und deckt mich dann mit der Decke bis zu den Schultern zu, als wäre das ganz normal, als hätte er mich mein ganzes Leben lang jeden Abend ins Bett gebracht. Typisch Kent McFuller.

FÜNF
    Wisst ihr, damals suchte ich immer noch nach Antworten. Ich wollte immer noch wissen, warum. Als könnte mir das irgendjemand beantworten, als könnte irgendeine Antwort zufriedenstellend sein.
    Da noch nicht, aber später fing ich an, über Zeit nachzudenken und darüber, wie sie endlos immer weiter vorwärtsdrängt und -rinnt und -flutet, Sekunden zu Minuten zu Tagen zu Jahren werden und alle dasselbe Ziel haben, eine Strömung, die ewig in eine Richtung fließt. Und wir gehen und schwimmen alle so schnell wir können und helfen ihr dabei.
    Was ich damit sagen will: Vielleicht könnt ihr euch erlauben zu warten. Vielleicht gibt es ein Morgen für euch. Vielleicht gibt es für euch tausend Morgen oder dreitausend oder zehntausend, so viel Zeit, dass ihr darin baden, euch darin wälzen könnt, sie durch eure Finger gleiten lassen wie Münzen. So viel Zeit, dass ihr sie verschwenden könnt.
    Aber für einige von uns existiert nur das Heute. Und es ist so, dass man es nie genau weiß.
    Ich wache nach Luft schnappend auf. Der Wecker hat mich aus der Dunkelheit gerissen wie vom Grund eines Sees. Ich wache jetzt zum fünften Mal am 12. Februar auf, aber heute bin ich erleichtert. Ich mache den Wecker aus und bleibe im Bett liegen, beobachte das milchweiße Licht, das langsam über die Wände kriecht, und warte darauf,dass sich mein Herzschlag normalisiert. Ein Sonnenstrahl rückt auf der Collage, die Lindsay für mich gebastelt hat, nach oben. Unten an den Rand hat sie mit rosa Glitzertinte Freundinnen 4ever geschrieben. Heute sind Lindsay und ich wieder befreundet. Heute ist niemand wütend auf mich. Heute habe ich nicht Mr Daimler geküsst oder alleine auf einer Party gesessen und mir die Augen ausgeheult.
    Na ja, nicht ganz alleine. Ich stelle mir vor, wie das Sonnenlicht langsam Kents Haus tränkt und schäumt wie Champagner.
    Während ich so daliege, mache ich in Gedanken eine Liste aller Dinge, die ich in meinem Leben gerne machen würde, als wäre das noch möglich. Die meisten sind einfach völlig verrückt, aber darüber denke ich nicht nach, zähle einfach alles auf, als wäre es so leicht, wie einen Einkaufszettel zu schreiben. Mit einem Privatflugzeug fliegen. Ein frisches Croissant aus einer Pariser Bäckerei essen. Von Connecticut nach Kalifornien reiten und unterwegs nur in den besten Hotelzimmern absteigen. Andere sind einfacher: mit Izzy zum Gänsestein gehen, einer Stelle, die ich entdeckt habe, als ich zum ersten und einzigen Mal versucht habe abzuhauen. Im Hamburger-Restaurant das Schlemmermenü bestellen – das aus einem Cheeseburger mit Speck, einem Milchshake und einem ganzen Teller Käsepommes besteht – und es ohne Gewissensbisse essen wie früher jedes Jahr an meinem Geburtstag. Durch den Regen rennen. Rührei im Bett frühstücken.
    Als Izzy ins Zimmer geschlichen kommt und zu mir ins Bett hüpft, bin ich ganz ruhig.
    Â»Mommy sagt, du musst in die Schule«, sagt Izzy und stupst mit dem Kopf gegen meine Schulter.
    Â»Ich gehe nicht in die Schule.«
    Das ist es; damit fängt es an. Einer der besten – und schrecklichsten – Tage meines Lebens beginnt mit diesen sechs Wörtern.
    Ich packe Izzy und kitzle sie am Bauch. Sie besteht immer noch darauf, ihren alten Dora -Schlafanzug zu tragen, aber das Oberteil ist inzwischen so kurz, dass ein breiter rosa Streifen Bauch – das einzige Fett an ihrem ganzen Körper – hervorguckt. Sie kreischt vor Lachen und rollt von mir weg.
    Â»Hör auf, Sam. Hör auf , hab ich gesagt!«
    Izzy quiekt und lacht und schlägt um sich, als meine Mutter an die Tür kommt.
    Â»Es ist Viertel vor sieben.« Sie steht in der Tür, beide Füße genau an der uralten abgeblätterten roten Linie ausgerichtet. »Lindsay wird jeden Moment hier sein.«
    Izzy schlägt meine Hände zur Seite und setzt sich mit leuchtenden Augen

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