Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie
auf. Es ist mir bisher nie aufgefallen, aber sie sieht wirklich genauso aus wie Mom. Das macht mich einen Moment traurig. Ich wünschte, sie sähe mir ähnlicher.
»Sam hat mich gekitzelt.«
»Sam kommt zu spät. Und du auch, Izzy.«
»Sam geht nicht in die Schule. Und ich auch nicht.« Izzy streckt die Brust raus, als wäre sie bereit, dafür zu kämpfen. Vielleicht wird sie mir ähnlich sehen, wenn sie älter ist. Vielleicht bekommt sie noch ausgeprägte Wangenknochen und einen Wachstumsschub und ihr Haar wird dunkler, wenn die Zeit wieder vorwärtsläuft â selbst wenn ich herausgespült werde wie Müll von der Flut. Der Gedanke gefällt mir. Es gefällt mir zu glauben, dass die Leute später sagen werden: Izzy sieht genauso aus wie ihre Schwester Sam.
Sie werden sagen: Könnt ihr euch noch an Sam erinnern? Sie war sohübsch. Ich weià nicht so genau, was sie sonst noch sagen könnten: Sie war nett. Sie war beliebt. Sie fehlt uns. Vielleicht nichts von alledem. Â
Ich schiebe den Gedanken weg und kehre zu meiner Liste zurück. Ein Kuss, der sich so anfühlt, als würde mein Kopf explodieren. Langsam zu genialer Musik mitten in einem leeren Raum tanzen. Um Mitternacht nackt im Meer schwimmen.
Mom reibt sich die Stirn. »Izzy, geh frühstücken.«
Izzy klettert über mich hinweg. Ich kneife sie in den Bauch und sie quiekt ein letztes Mal, bevor sie vom Bett springt und zur Tür hinausrennt. Das Einzige, was Izzy so schnell in Bewegung setzen kann, ist ein getoasteter Zimtrosinenbagel mit Erdnussbutter, und ich stelle mir vor, wie schön es wäre, ihr an jedem Tag ihres Lebens einen Zimtrosinenbagel mit Erdnussbutter zu geben und ein ganzes Haus damit anzufüllen.
Als Izzy weg ist, sieht mich meine Mutter streng an. »Was ist los, Sam? Bist du krank?«
»Nicht wirklich.« Ein Arztbesuch steht nun wirklich nicht auf meiner Wunschliste.
»Was dann? Irgendwas muss doch los sein. Ich dachte, der Valentinstag in der Schule ist einer deiner Lieblingsschultage.«
»Ist er ja auch. War er, meine ich.« Ich stütze mich auf die Ellbogen und schnaube. »Ich weià nicht, aber irgendwie ist das ganz schön dämlich, wenn man mal drüber nachdenkt.«
Sie zieht die Augenbrauen hoch.
Ich quatsche drauflos, ohne vorher groà darüber nachzudenken, was ich eigentlich sagen will, aber dann merke ich, dass es stimmt. »Es geht doch nur darum, den anderen zu beweisen, wie viele Freunde man hat. Aber alle wissen doch längst, wie viele Freunde jeder hat. Und schlieÃlich lernt man so keine neuen Freunde kennen und dieFreundschaften, die man eh schon hat, werden auch nicht enger dadurch.«
Meine Mutter lächelt ein winziges bisschen, sie zieht nur einen Mundwinkel leicht nach oben. »Na ja, du kannst froh sein, so gute Freundinnen zu haben und das auch zu wissen. Ich bin sicher, einigen Leuten sind diese Rosen sehr wichtig.«
»Ich meine ja nur, dass diese ganze Sache irgendwie blöd ist.«
»Das klingt aber gar nicht nach der Samantha Kingston, die ich kenne.«
»Na ja, vielleicht ändere ich mich gerade.« Das habe ich eigentlich auch nicht so gemeint, bevor ich es höre. Da denke ich, dass es stimmen könnte, und verspüre einen Hoffnungsschimmer. Vielleicht habe ich ja doch noch eine Chance. Vielleicht muss ich mich ändern.
Meine Mutter sieht mich mit diesem Gesichtsausdruck an, als wäre ich ein Rezept, mit dem sie nicht so ganz klarkommt. »War irgendwas, Sam? Irgendwas mit deinen Freundinnen?«
Heute stört mich ihre Frage nicht so. Heute finde ich es sogar irgendwie witzig. Ich würde mir ja wünschen, dass das Einzige, was mich bedrückt, ein Streit mit Lindsay wäre oder irgendwas Blödes, das Ally gesagt hat oder so was.
»Mit meinen Freundinnen nicht.« Ich suche was aus, das sie zum Nachgeben bringen soll. »Mit ⦠mit Rob.«
Mom runzelt die Stirn. »Habt ihr euch gestritten?«
Ich lasse mich ein bisschen weiter ins Bett sinken und hoffe, dadurch deprimiert zu wirken. »Er ⦠er hat Schluss gemacht.« In gewisser Weise ist das noch nicht mal eine Lüge. Er hat zwar nicht direkt Schluss gemacht, aber es ist klar, dass das mit uns nicht so ernst war, wie ich lange Zeit dachte. Kann man überhaupt ernsthaft mit jemandem gehen, der einen gar nicht richtig kennt?
Es funktioniert sogar besser als
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