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Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie

Titel: Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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hat, deren Scherben jetzt unter meinen Stiefeln knirschen, bis ins Wohnzimmer.
    Eine Wand besteht fast nur aus Fenstern, die auf den Rasen rausgehen. Die Nacht draußen sieht silbern und gefroren aus, alle Bäume sind in Eis gehüllt, als wären sie aus Gips. Ich frage mich, ob alles in dieser Welt, dieser Welt, in der ich festsitze, nur eine Kopie ist, eine billige Imitation der Wirklichkeit. Dann setze ich mich auf den Teppich –genau in die Mitte eines regelmäßigen Quadrats aus Mondlicht – und fange an zu weinen. Der erste Schluchzer ist fast ein Schrei.
    Ich weiß nicht, wie lange ich da sitze – mindestens eine Viertelstunde, da ich mich so ziemlich bis zum Gehtnichtmehr ausheule. Währenddessen rotze ich mich total voll und versaue mein Pelzjäckchen mit Mascara und Gesichtsschmiere. Aber irgendwann wird mir bewusst, dass noch jemand im Zimmer ist.
    Ich werde ganz leise. Teile des Zimmers liegen im Schatten, aber aus den Augenwinkeln nehme ich eine Bewegung wahr. Ein karierter Turnschuh blitzt in meinem Sichtfeld auf.
    Â»Wie lange stehst du schon da?«, frage ich und wische mir zum vierzigsten Mal mit dem Arm den Rotz ab.
    Â»Nicht lange.« Kents Stimme ist ganz leise. Ich weiß, dass er lügt, aber es ist mir egal. Der Gedanke, dass ich nicht die ganze Zeit allein war, tröstet mich sogar.
    Â»Ist alles in Ordnung?« Er macht ein paar Schritte ins Zimmer herein, so dass das Mondlicht ihn anstrahlt und silbern aufleuchten lässt. »Ich meine, ganz offensichtlich ist nicht alles in Ordnung, aber ich wollte wissen, ob ich, weißt du, irgendwas tun kann oder ob du über irgendwas reden willst oder …«
    Â»Kent?«, unterbreche ich ihn. Er hatte schon immer die Tendenz, vom Hundertsten aufs Tausendste zu kommen, selbst als wir noch klein waren.
    Er hält inne. »Ja?«
    Â»Kannst du … könnte ich vielleicht ein Glas Wasser haben?«
    Â»Ja. Eine Sekunde.« Er klingt erleichtert, dass er etwas tun kann, und ich höre das Geräusch seiner Turnschuhe auf dem Teppich. In weniger als einer Minute ist er mit einem hohen Glas Wasser zurück. Es ist genau die richtige Menge Eiswürfel drin.
    Nach ein paar tiefen Schlucken sage ich: »Tut mir leid, dass ich hier hinten bin. Ich meine, wegen des Schilds und so.«
    Â»Schon okay.« Kent setzt sich im Schneidersitz neben mich auf den Teppich, nicht so nah, dass wir uns berühren, aber nah genug, dass ich seine Anwesenheit spüren kann. »Das Schild war eigentlich eher für andere Leute gedacht. Du weißt schon, damit niemand das Zeug meiner Eltern kaputt macht oder so. Ich hab eigentlich noch nie eine Party gegeben.«
    Â»Und warum gibst du heute eine?«, frage ich, einfach damit er weiterredet.
    Er lacht kurz auf. »Ich dachte, wenn ich eine Party gebe, kommst du.«
    Ich werde ganz verlegen und mir wird heiß bis zu den Zehenspitzen. Seine Bemerkung kommt so unerwartet, dass ich gar nicht weiß, was ich sagen soll. Er scheint jedoch nicht verlegen zu sein. Er sitzt einfach da und sieht mich an. Typisch Kent. Er hat nie kapiert, dass man so was nicht einfach so sagen kann.
    Das Schweigen hat schon ein paar Herzschläge zu lange gedauert. Ich habe das Gefühl, unbedingt etwas sagen zu müssen. »Das Zimmer hier muss tagsüber total hell sein.«
    Kent lacht. »Es ist, als säße man mitten in der Sonne.«
    Wieder Schweigen. Wir können immer noch die Musik hören, aber sie klingt gedämpft, als müsste sie einen weiten Weg zurücklegen, bevor sie bei uns ankommt. Das gefällt mir.
    Â»Hör mal.« Allein der Versuch zu sagen, was ich sagen will, verursacht mir einen Kloß im Hals. »Tut mir leid wegen vorhin. Ich … danke, dass du mir geholfen hast. Tut mir leid, dass ich immer …« Im letzten Moment kriege ich es doch nicht raus. Tut mir leid, dass ich immer so gemein war. Tut mir leid, dass irgendwas mit mir nicht stimmt.
    Â»Was ich vorhin gesagt habe, hab ich ernst gemeint«, sagt Kent leise. »Das mit deinen Haaren.«
    Er verändert leicht seine Stellung – rückt einen Millimeter näher – und da wird mir bewusst, dass ich hier mit Kent McFuller mitten in einem mondbeschienenen Zimmer sitze.
    Â»Tja, ich geh dann besser mal.« Ich stehe auf. Ich bin immer noch nicht sehr sicher auf den Beinen und das Zimmer wankt genau wie ich.
    Â»Ups.« Kent steht

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