Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie
Tonfall in seiner Stimme macht mich nervös. Zum ersten Mal kommt mir der Gedanke, dass ich wirklich in Schwierigkeiten stecken könnte. Nicht, dass es eine Rolle spielen würde, aber wenn Mr Daimler mir jetzt eine Standpauke über Verantwortung hält, sterbe ich vor Verlegenheit. Dann sterbe ich noch einmal.
Viel Glück , sagt Becca auf dem Weg nach drauÃen tonlos. Wir sind gar nicht mal miteinander befreundet â Lindsay nennt sie die Thunfisch-Tussi, weil sie wirklich jeden Tag Thunfisch-Sandwiches isst â, aber davon, dass sie es sagt, löst sich der Knoten in meinem Magen.
Mr Daimler wartet, bis der letzte Schüler die Klasse verlassen hat â aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Kent in der Nähe der Tür herumlungert â, dann geht er langsam zur Tür und schlieÃt sie. Irgendwas an der Art, wie die Tür mit einem Klicken zufällt â so endgültig, so schnell â, lässt meinen Herzschlag aussetzen. Einen Augenblick schlieÃe ich die Augen und habe das Gefühl, wieder mit Lindsay in ihrem Autoauf der Fallow Ridge Road zu sein, wo die undeutlichen Scheinwerfer eines anderen Autos in der Dunkelheit auf uns zusteuern wie eine Anklage. Die anderen weichen immer zuerst aus, hatte sie gesagt, aber in diesem Augenblick verstehe ich mit vollkommener und perfekter Klarheit, dass das nicht der Grund war, warum sie das tat â warum sie das tut. Sie tut es für den einen aufregenden Moment, in dem man es nicht weiÃ, in dem man vielleicht jemandem begegnet, der nicht ausweicht, weshalb man stattdessen selbst plötzlich von der StraÃe hinunter in die Dunkelheit brettert.
Als ich die Augen wieder öffne, hat Mr Daimler die Hände in die Hüften gestemmt. Er starrt mich an.
»Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht?«
Die Schärfe in seiner Stimme erschreckt mich. Ich bin noch nie von einem Lehrer beschimpft worden.
»Ich ⦠ich weià nicht, wovon Sie reden.« Meine Stimme klingt dünner, jünger als geplant.
»Der Scheià da vorhin â genau hier, vor allen Leuten. Was hast du dir dabei gedacht?«
Ich stehe auf, damit ich nicht einfach dasitze und zu ihm aufsehe wie ein kleines Kind. Ich habe weiche Knie und muss mich mit einer Hand am Tisch festhalten. Ich hole tief Luft und versuche mich zusammenzureiÃen. Es spielt keine Rolle: Alles das wird ausgelöscht, weggewischt werden.
»Tut mir leid«, sage ich und fühle mich ein bisschen stärker. »Ich weià wirklich nicht, wovon Sie reden. Habe ich was falsch gemacht?«
Er sieht zur Tür und ein Muskel an seinem Kiefer zuckt. Nur das, dieses kleine Zucken, gibt mir mein ganzes Selbstvertrauen zurück. Ich möchte die Hand ausstrecken und ihn berühren, meine Finger in seine Haare legen.
»Du könntest groÃe Schwierigkeiten bekommen, weiÃt du«, sagt er, ohne mich anzusehen. »Und du könntest mich in groÃe Schwierigkeiten bringen.«
Es läutet zum ersten Mal: Die Stunde ist jetzt offiziell zu Ende. Das klingende Gefühl kehrt in mein Blut, in die Luft zurück. Ich trete vorsichtig um meinen Tisch herum und gehe direkt nach vorne. Erst einen Meter vor ihm bleibe ich stehen. Er weicht nicht zurück. Stattdessen sieht er mich endlich an. Seine Augen sind so tief und voll von etwas, dass es mich beinahe abschreckt. Aber nur beinahe.
Ich lehne mich lässig an Beccas Tisch, beuge mich zurück und stütze mich auf die Ellbogen, so dass ich mitsamt meiner Brust, meinen Beinen und allem vollkommen vor ihm ausgestreckt daliege. Ich habe das Gefühl, als triebe mein Kopf von meinem Körper weg und mein Körper von meinem Blut, als würde ich mich in Energie und Vibration auflösen.
»Ich habe keine Angst vor Schwierigkeiten«, sage ich mit meiner aufreizendsten Stimme.
Mr Daimler starrt mir in die Augen und guckt den Rest von mir nicht an, aber irgendwie weià ich, dass ihn das Anstrengung kostet. »Was tust du da?«
Mein Rock rutscht so hoch, dass meine Unterhose zu sehen ist. Es ist ein rosa Spitzentanga, einer meiner ersten. Mit einem Tanga habe ich immer das Gefühl, ich hätte ein Gummiband zwischen den Arschbacken, aber letztes Jahr haben Lindsay und ich uns zwei gleiche bei Victoriaâs Secret gekauft und geschworen sie auch zu tragen.
Die Worte strömen mir aus einem Drehbuch, einem Film zu: »Wenn Sie wollen, höre ich auf.« Meine
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