Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie
ganz aufgeregt, aber das heiÃt nicht, dass wir den normalen â¦Â«
»Liebesboten!« , kreischt jemand und die Klasse bricht in Gekicher aus. Und wirklich, da sind sie: der Teufel, das Häschen und der blasse, weiÃe Engel mit den groÃen Augen.
Mr Daimler hebt resigniert die Hände und lehnt sich an seinen Tisch. »Ich gebâs auf«, sagt er. Dann wendet er mir nur für einen Augenblick sein Lächeln zu â nur einen Augenblick, aber lang genug, dass mein ganzer Körper erstrahlt wie Weihnachtsbeleuchtung.
Der Teufel liefert mir drei Rosen â die von Rob, Tara Flute und Elody. Dann guckt der blasse, weiÃe Engel systematisch seinen Strauà durch, wobei er jede Karte umdreht und nach meinem Namen sucht. Die Bewegungen der Liebesbotin haben etwas Vorsichtiges und Ernsthaftes an sich, als konzentrierte sie sich sehr darauf, alles richtig zu machen. Als sie die Adressaten abliest, sagt sie jeden Namen leise vor sich hin, erstaunt, so als könnte sie nicht glauben, dass es so viele Leute an der Schule gibt, so viele Rosen auszuliefern, so viele Freunde. Es ist qualvoll, ihr dabei zuzusehen, und ich stehe unvermittelt auf und nehme ihr die rosa und cremefarben melierte Rose aus den Händen. Sie fährt erschrocken zurück.
»Das ist meine«, sage ich. »Ich erkenne sie.«
Sie nickt mich mit weit aufgerissenen Augen an. Ich bezweifle, dass sie in ihrem Leben jemals von einer Zwölftklässlerin angesprochen wurde. Sie macht den Mund auf.
Ich beuge mich vor, damit mich niemand hören kann. »Sagâs nicht«, sage ich und ihre Augen werden noch gröÃer. Ich kann es nicht ertragen, sie sagen zu hören, dass sie schön ist. Ich kann es nicht ertragen, wo die Rose â so wie alles andere â nur noch Abfall ist, bedeutungslos. »Sie landet eh im Müll.«
Ich meine es ernst. Sobald Mr Daimler die Liebesboten zur Tür rausscheucht â während alle in der Klasse noch kichern, sich gegenseitig die Nachrichten zeigen, die ihre Freunde ihnen geschrieben haben, und versuchen vorherzusagen, wie viele Rosen sie bis zum Ende des Tages erwarten können â, nehme ich meine Rosen, rausche nach vorne zu Mr Daimlers Pult und werfe sie in den groÃen Mülleimer, der daneben steht.
Augenblicklich verstummt das Gekicher. Zwei Leute schnappen lautstark nach Luft und Chrissy Walker macht sogar ein Kreuzzeichen,als hätte ich gerade auf eine Bibel geschissen oder so was. So wichtig sind die Rosen. Becca Roth richtet sich halb auf ihrem Platz auf, als wollte sie hinter den Rosen herstürzen und sie vor dem Schicksal bewahren, unter Papier und Bleistiftspänen, misslungenen Tests und leeren Getränkedosen zerquetscht zu werden. In Kents Richtung gucke ich erst gar nicht. Ich will sein Gesicht nicht sehen.
Becca platzt heraus: »Du kannst doch nicht einfach deine Rosen wegwerfen, Sam. Die hat dir jemand geschickt.«
»Ja«, mischt sich Chrissy ein. »Das tut man einfach nicht.«
Ich zucke mit den Schultern. »Ihr könnt sie haben, wenn ihr wollt.« Ich zeige auf den Papierkorb und Becca wirft einen sehnsüchtigen Blick in die Richtung. Sie wägt wahrscheinlich ab, ob der soziale Auftrieb, den es ihr geben würde, vier Extrarosen zu haben, die Demütigung rechtfertigt, im Müll danach stochern zu müssen.
Mr Daimler lächelt und zwinkert mir zu. »Bist du sicher, dass du das tun willst, Sam?« Er hebt die Hände mit den Handflächen nach oben. »Du brichst die Herzen der Leute zu deiner Rechten und Linken.«
»Ach ja?« Alles das wird morgen weg, verschwunden, ausgelöscht sein, und übermorgen wird morgen ausgelöscht sein und überübermorgen wird übermorgen ausgelöscht sein, alles durch den heutigen Tag rein und makellos gewischt. »Wie steht es mit Ihrem?«
Es wird totenstill im Raum; irgendjemand hustet. Ich kann erkennen, dass Mr Daimler nicht weiÃ, ob ich ihn aufziehe oder nicht.
Er leckt sich nervös über die Lippen und fährt sich mit einer Hand durch die Haare. »Was?«
»Ihr Herz.« Ich ziehe mich auf die Ecke seines Pults hoch, wobei mein Rock fast bis zu meiner Unterhose hochrutscht. Mein Herz schlägt so schnell, dass es ein gleichmäÃiges Summen ist. Ich habe dasGefühl, als würde ich über die Luft hinwegfliegen. »Breche ich das auch?«
»Okay.« Er blickt zu Boden und fummelt
Weitere Kostenlose Bücher