Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie
Stimme klingt hauchig, aber nicht absichtlich. Ich atme gar nicht mehr â alles, die ganze Welt, erstarrt in diesem Moment, während ich auf seine Antwort warte.
Aber als er spricht, klingt er müde, ärgerlich â gar nicht so, wie ich erwartet hatte. »Was willst du eigentlich, Samantha?«
Der Klang seiner Stimme erschreckt mich und einen Augenblick lang schwirrt mir der Kopf und ich kann keinen klaren Gedanken fassen. Er sieht mich jetzt mit einem ungeduldigen Ausdruck an, als hätte ich ihn gerade gebeten, mir eine andere Note zu geben. Es läutet zum zweiten Mal. Ich habe das Gefühl, als würde er mich jeden Augenblick wegschicken und mich noch mal an den Test am Montag erinnern. Irgendwie habe ich die Kontrolle über die Situation verloren und weià nicht, wie ich das in Ordnung bringen soll. Die Schwingung in der Luft ist immer noch da, aber jetzt fühlt sie sich unheilvoll an, als wäre die Luft voller spitzer Dinge, die jeden Moment herunterfallen können.
»Ich ⦠ich will dich.« Eigentlich sollte es nicht so unsicher klingen. Das ist es schlieÃlich wirklich, was ich will. Das ist es, was ich immer wollte: Mr Daimler. Einen Augenblick lang dreht sich in blinder Panik alles in meinem Kopf und mir fällt sein Vorname nicht ein. Am liebsten hätte ich hysterisch gelacht. Ich liege hier halb nackt vor meinem Mathelehrer und kann mich nicht mehr an seinen Namen erinnern. Dann weià ich es wieder. Evan. »Ich will dich, Evan«, sage ich, etwas mutiger. Es ist das erste Mal, dass ich seinen Vornamen benutze.
Er starrt mich lange an. Ich fange an nervös zu werden. Ich will weggucken oder meinen Rock runterziehen oder meine Arme verschränken, aber ich zwinge mich, ruhig liegen zu bleiben.
»Woran denkst du?«, frage ich schlieÃlich, aber anstatt mir zu antworten, kommt er einfach zu mir, legt seine Arme auf meine Schultern und schiebt mich nach hinten, so dass ich ganz auf Beccas Tisch liege. Dann beugt er sich über mich und küsst mich, leckt meinen Hals und mein Ohr und stöÃt dabei leise Grunzlaute aus, die mich anPickle erinnern, wenn er pinkeln muss. Wie ich da an ihn gepresst liege, komme ich mir klein vor; seine Arme sind stark und befummeln überall meine Schultern und Arme. Er schiebt eine Hand unter mein Top und drückt nacheinander meine Brüste so fest, dass ich beinahe aufschreie. Seine Zunge ist groà und dick. Ich denke: Ich küsse Mr Daimler, ich küsse Mr Daimler, das glaubt mir Lindsay nie , aber es fühlt sich überhaupt nicht so an, wie ich es mir vorgestellt habe. Seine Bartstoppeln kratzen auf meiner Haut und ich habe den schrecklichen Gedanken, dass das auch meine Mutter spürt, wenn sie meinen Vater küsst.
Als ich die Augen öffne, sehe ich die einfachen gesprenkelten Deckenplatten des Klassenzimmers â die Deckenplatten, die ich in diesem Halbjahr stundenlang angestarrt habe â und mein Verstand beschäftigt sich damit und zählt sie, als wäre ich eine Fliege, die irgendwo auÃerhalb meines Körpers herumsummt. Ich denke: Wie kann dieselbe Decke noch da oben sein, während das hier passiert? Warum kommt die Decke nicht runter? Ganz plötzlich ist es nicht mehr lustig: All diese spitzen, glitzernden Dinge fallen auf einmal aus der Luft und gleichzeitig zerbricht etwas in mir. Ich habe das Gefühl, nach einer durchsoffenen Nacht wieder nüchtern zu werden.
Ich lege die Hände auf seine Hüfte und versuche ihn wegzuschieben, aber er ist zu schwer, zu stark. Ich kann seine Muskeln unter meinen Fingerspitzen spüren â er hat in der Highschool Lacrosse gespielt, haben Lindsay und ich herausgefunden â und darüber eine dünne Fettschicht. Er lehnt mit seinem ganzen Gewicht auf mir und ich bekomme keine Luft. Ich werde unter ihm zerquetscht, meine Beine werden von seiner Hüfte auseinandergedrückt, sein Bauch liegt warm und dick und schwer auf meinem. Ich bekomme meinen Mund frei. »Wir ⦠hier können wir das nicht machen.«
Die Wörter kommen einfach heraus, ohne dass ich das wirklich meine. Eigentlich wollte ich sagen: Wir können das nicht machen. Hier nicht. Und auch sonst nirgends.
Eigentlich wollte ich sagen: Hör auf.
Er atmet schwer und starrt immer noch meinen Mund an. An seinem Haaransatz hängt eine kleine SchweiÃperle und ich beobachte, wie sie sich einen Weg über seine Stirn
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