Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie

sich all die Jahre, in denen ich meine Entschuldigungen gefälscht habe, irgendwie aus, denn ich liefere eine perfekte, verschnörkelte Imitation der Unterschrift meiner Mutter unddie Verkäuferin lächelt und sagt: »Danke, Miss Kingston«, als hätte ich ihr einen Gefallen getan. Und dann spaziere ich einfach so mit dem genialsten schwarzen Kleid der Welt, das in Seidenpapier eingeschlagen unten in einer knisternden weißen Tüte liegt, hinaus. Jetzt kann ich verstehen, warum Ally und Lindsay so gern shoppen gehen. Es ist viel besser, wenn man sich kaufen kann, was man will.
    Â»Du hast vielleicht ein Glück, dass deine Eltern dir eine Kreditkarte geben«, sagt Courtney, die hinter mir her aus dem Geschäft trottet. »Ich bettele meine schon jahrelang deswegen an. Aber sie sagen, ich muss warten, bis ich auf dem College bin.«
    Â»Sie haben sie mir nicht wirklich gegeben«, sage ich und hebe eine Augenbraue. Ihr bleibt der Mund offen stehen.
    Â»Ach, komm.« Courtney schüttelt so heftig den Kopf, dass ihre braunen Haare ganz verschwommen hin und her schwingen. »Ach, komm. Du hast nicht … soll das heißen, du hast sie gestohlen  …?«
    Â»Pssst.« Das La Villa -Einkaufszentrum ist auf Italienisch gemacht, deshalb stehen überall große Marmorbrunnen und der Fußboden ist gefliest, so dass alle Geräusche zurückgeworfen, verzerrt und durcheinandergewirbelt werden, was es unmöglich macht, zu verstehen, was jemand sagt, außer er steht direkt neben einem, aber trotzdem. Ich will mein Glück besser nicht überstrapazieren. »Ich würde es eher Ausleihen nennen.«
    Â»Meine Eltern würden mich erwürgen.« Courtney hat die Augen so weit aufgerissen, dass ich Angst habe, ihre Augäpfel fallen heraus. »Sie würden mich umbringen, bis ich tot wäre.«
    Â»Absolut«, sagt Bethany.
    Als Nächstes gehen wir in den MAC-Laden. Ich lasse mich von einem Typen namens Stanley, der dünner ist als ich, komplett schminken, während die Pinscher verschiedene Lidschattentöne ausprobierenund angeschrien werden, weil sie die ungeöffneten Lipgloss-Tuben aufgemacht haben. Ich kaufe alles, womit Stanley mich schminkt: Foundation, Concealer, Puder, Primer, Lidschatten in drei verschiedenen Nuancen, zwei Eyeliner (einer davon ist weiß für das untere Lid), Mascara, Lippenkonturenstift, Lipgloss, vier verschiedene Pinsel und eine Wimpernzange. Das ist es absolut wert. Als wir gehen, sehe ich aus wie ein berühmtes Model und ich merke, wie mich die Leute anstarren, als wir weiter durchs La Villa gehen. Wir kommen an ein paar Typen vorbei, die mindestens schon auf dem College sind, und einer von ihnen murmelt: »Scharf.« Tara und Courtney gehen rechts und links neben mir und Bethany hinter uns her. So muss sich Lindsay andauernd fühlen , denke ich.
    Dann ist Neiman Marcus dran, ein Laden, in den ich nur reingehe, wenn Ally mich hinter sich herzieht, weil alles da eine Milliarde Dollar kostet. Courtney probiert komische Hüte für alte Damen auf und Bethany macht Fotos von ihr und droht damit, sie ins Netz zu stellen. Ich suche mir ein irres waldgrünes Kunstpelz-Bolerojäckchen aus, in dem ich eigentlich auf eine Party in irgendeinem Privatjet gehöre, und ein Paar silberne Granat-Chandelier-Ohrringe.
    Der einzige Haken an der Sache ist, dass mich die Kassiererin – Irma laut ihrem Namensschild – nach meinem Ausweis fragt.
    Â»Ausweis?« Ich blinzele sie mit Unschuldsblick an. »Ich weise mich echt nie aus. Letztes Jahr ist mir der Perso geklaut worden.«
    Sie starrt mich eine ganze Weile an, als überlegte sie, ob sie mir das durchgehen lässt, dann macht sie ein schnalzendes Geräusch mit ihrem Kaugummi und schenkt mir ein verkniffenes Lächeln. Sie schiebt die Bolerojacke und die Ohrringe zurück über die Theke. »Tut mir leid, Ellen . Bei einem Einkaufswert über zweihundertfünfzig Dollar brauche ich einen Ausweis.«
    Â»Bitte nennen Sie mich Miss Kingston.« Ich erwidere ihr verkniffenes Lächeln. Miese Schlampe. Diesen Trick mit dem schnalzenden Kaugummi hat schließlich Lindsay erfunden.
    Allerdings wäre ich auch eine miese Schlampe, wenn meine Eltern mich Irma genannt hätten.
    Plötzlich fällt mir etwas ein und ich wühle in meiner Handtasche, bis ich meinen Mitgliedsausweis des Hilldebridge Schwimm- und Tennisklubs finde, wo meine