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Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie

Titel: Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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Bruchteil einer Sekunde, bis ich die Melodie erkenne – Frank Sinatra, »New York, New York« –, und spreche ein Dankgebet, das die Pinscher nicht Zeuginnen der spontanen Darbietung meiner Mutter werden. Dann schleiche ich auf Zehenspitzen in den Hauswirtschaftsraum, wo Mom wie üblich ihre riesige Handtasche abgelegt hat. Sie liegt auf der Seite. Mehrere Münzen und eine Rolle Pfefferminz sind auf die Waschmaschine gerollt und eine Ecke ihrer grünen Ralph-Lauren-Brieftasche guckt gerade so unter der breiten Lederschlaufe des Schulterriemens hervor. Ich ziehe die Brieftasche vorsichtig heraus, wobei ich die ganze Zeit auf den Rhythmus des Wassers von oben lausche, bereit abzuhauen, sobald es aufhört zu laufen. Moms Brieftasche ist auch total chaotisch, vollgestopft mit Fotos – Izzy, ich, Izzy und ich, Pickle in einem Weihnachtsmannkostüm –, Quittungen, Visitenkarten. Und Kreditkarten.
    Vor allem Kreditkarten.
    Vorsichtig angle ich nach der Amex-Karte. Meine Eltern benutzen sie nur für größere Anschaffungen, von daher wird meine Mutter ihr Fehlen unmöglich bemerken. Meine schweißnassen Hände jucken und mein Herz klopft so heftig, dass es wehtut. Ich mache die Brieftasche vorsichtig zu und stecke sie zurück in die Handtasche, wobei ich darauf achte, dass sie an derselben Stelle liegt wie vorher.
    Ãœber mir höre ich ein letztes Wasserrauschen, ein Quietschen, als die Rohre plötzlich austrocknen, und dann Stille. Moms Sinatra-Interpretation bricht ab. Die Dusche ist aus. Einen Moment lang habe ich solche Angst, dass mir meine Beine nicht gehorchen. Sie wird mich hören. Sie wird mich erwischen. Sie wird mich mit der Amex-Karte in der Hand entdecken. Dann klingelt das Telefon und ich höre Schritte aus dem Badezimmer kommen und den Flur entlanggehen, höre ihren Singsang: »Ich komme schon.«
    In diesem Augenblick bin ich weg, schleiche aus dem Hauswirtschaftsraum, durch die Küche und zur Hintertür hinaus – dann renne, renne, renne ich ums Haus herum. Das von Raureif überzogene Gras schneidet mir in die Waden und ich versuche mir das Lachen zu verkneifen, während ich die kalte Plastikkarte so fest umklammere, dass ich später, als ich die Hand öffne, einen Abdruck in meiner Handfläche sehen kann.
    Normalerweise kann ich im Einkaufszentrum nicht groß prassen: Meine Eltern geben mir zweimal im Jahr fünfhundert Dollar für neue Kleider, und abgesehen davon kann ich ausgeben, was ich verdiene, wenn ich auf Izzy aufpasse oder was meine Eltern sonst für Dienstbotenjobs von mir verlangen, zum Beispiel Weihnachtsgeschenke für unsere Nachbarn einpacken oder im November Blätter zusammenharken oder meinem Vater dabei helfen, den Gully sauber zu machen. Ich weiß, dass fünfhundert Dollar viel klingt, aber ihr müsst bedenken, dass allein Allys Burberry-Galoschen schon fast so viel kosten – und die trägt sie, wenn’s regnet. An den Füßen . Von daher war das Shoppen nie so meins. Es ist einfach nicht so lustig, vor allem, wenn deine besten Freundinnen Ally Unbeschränkte-Kreditkarte Carter und Lindsay Mein-Stiefvater-versucht-meine-Zuneigung-zu-kaufen Edgecombe heißen.
    Heute ist dieses Problem gelöst.
    Erste Station ist Bebe , wo ich ein großartiges Kleid mit Spaghettiträgern aussuche, das so eng ist, dass ich die Luft anhalten muss, um mich überhaupt reinzwängen zu können. Und sogar so muss Tara in die Umkleidekabine kommen und mir dabei helfen, das letzte Stück des Reißverschlusses zuzuziehen. Eigentlich passen Katies Stiefel ziemlich gut zu dem Kleid, es sieht sexy und tough aus, als wäre ich eine Killerin aus einem Videospiel oder eine Actionheldin. Eine Weile lang stelle ich mich in 3 Engel für Charlie- Posen vor den Spiegel. Ich tu so, als wären meine Finger eine Pistole, ziele auf mein Spiegelbild und flüstere Sorry . Dann drücke ich ab und stelle mir eine Explosion vor.  
    Courtney rastet beinahe aus, als ich meine Kreditkarte zücke, ohne überhaupt nach der Summe zu gucken. Natürlich habe ich aus den Augenwinkeln einen Blick darauf geworfen. Die große grüne 302,10 $ , die an der Kasse blinkt, als klagte sie mich wegen irgendwas an, ist kaum zu übersehen. Mein Magen liefert eine kleine Hula-Hoop-Vorführung, als mir die Verkäuferin den Beleg zum Unterschreiben hinschiebt, aber anscheinend zahlen

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