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Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie

Titel: Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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nicht sicher, woher man das weiß. In Gedanken versuche ich all die Dinge hinzuzufügen, die ich in meinem Leben gemacht habe, aber daraus entsteht kein klares Bild, nichts, das mir sagt, was für ein Mensch ich bin – nur eine große Verschwommenheit und unklare Ränder, ununterscheidbare Erinnerungen an Gelächter und Herumfahren. Ich habe das Gefühl, als versuchte ich ein Foto im Gegenlicht zu machen: Alle Leute in meiner Erinnerung erscheinen konturlos und austauschbar.
    Â»Du weißt nicht alles über mich«, sage ich.
    Er lacht kurz auf. »Ich weiß, dass du niedlich aussiehst, wenn du sauer bist.« Er stupst mich mit einem Finger zwischen die Augen. »Runzel nicht so viel die Stirn. Sonst kriegst du Falten.«
    Â»Wie ist das jetzt mit dem Bier?«, frage ich und bin dankbar, dass Rob sich umdreht. Ich hatte gehofft, dass ich bei seinem Anblick lockerer werden würde, aber stattdessen macht er mich nervös.
    Als Rob mit meinem Bier zurückkommt, nehme ich ihm den Becher ab und gehe nach oben.
    Oben an der Treppe stoße ich fast mit Kent zusammen. Er tritt schnell einen Schritt zurück, als er mich sieht.
    Â»Entschuldigung«, sagen wir beide gleichzeitig und ich merke, wie ich rot werde.
    Â»Du bist gekommen«, sagt er. Seine Augen sind grüner denn je. Er hat einen eigenartigen Ausdruck im Gesicht, sein Mund ist ganz verzogen, als würde er auf etwas Saurem kauen.
    Â»Offenbar ist das heute die angesagte Party.« Ich schaue weg und wünschte, er würde mich nicht länger anstarren. Irgendwie weiß ich, dass er etwas Furchtbares sagen wird. Er wird wieder sagen, dass er mich durchschaut. Und ich verspüre diesen verrückten Drang, ihn zu fragen, was er sieht – als könnte er mir helfen, mehr über mich herauszufinden. Aber ich habe Angst vor seiner Antwort.
    Er guckt auf seine Füße. »Sam, ich wollte dir sagen …«
    Â»Halt.« Ich hebe eine Hand. Dann wird es mir klar: Er weiß, was mit Mr Daimler passiert ist. Er weiß Bescheid. Ich weiß, es ist paranoid, aber die Gewissheit ist so stark, dass sich mein Kopf davon dreht und ich die Hand ausstrecken und mich am Geländer festhalten muss. »Wenn es darum geht, was in Mathe passiert ist, will ich nichts davon hören.«
    Er sieht erneut zu mir auf, den Mund zusammengekniffen. »Was ist denn passiert?«
    Â»Nichts.« Ich spüre erneut, wie Mr Daimlers Gewicht mich runterdrückt, seinen warmen Mund auf meinen gepresst. »Das geht dich nichts an.«
    Â»Daimler ist ein dreckiger Sack, weißt du. Du solltest dich von ihm fernhalten.« Er wirft mir einen Seitenblick zu. »Du bist zu schade für so was.«
    Ich muss an die Nachricht denken, die heute Morgen auf meinem Tisch gelandet ist. Wusste ich’s doch, dass sie von ihm war. Die Vorstellung von Kent McFuller, der mitleidig auf mich herabsieht, lässt etwas in mir zerbrechen.
    Die Wörter sprudeln nur so hervor. »Ich muss dir überhaupt nichts erklären. Wir sind ja noch nicht mal befreundet. Wir sind … wir sind überhaupt nichts.«
    Kent tritt einen Schritt zurück und stößt ein Geräusch aus, das eine Mischung aus Schnauben und Lachen ist. »Du bist echt unglaublich, weißt du das?« Er schüttelt den Kopf, wobei er ärgerlich oder traurig aussieht oder vielleicht auch beides. »Vielleicht haben die anderen alle Recht. Vielleicht bist du bloß eine oberflächliche …« Er hält inne.
    Â»Was? Eine oberflächliche was ?« Ich würde ihm am liebsten eine runterhauen, damit er mich ansieht, aber er hat den Blick weiterhin auf die Wand gerichtet. »Eine oberflächliche Schlampe, stimmt’s? Ist es das, was du denkst?«
    Sein Blick begegnet meinem, direkt und matt und hart wie Stein. Jetzt wünschte ich, er hätte mich nicht angesehen. »Vielleicht. Vielleicht hast du Recht. Wir sind nicht befreundet. Wir sind gar nichts.«
    Â»Ach ja? Ich laufe wenigstens nicht überall herum und halte mich für was Besseres.« Es platzt aus mir heraus, bevor ich es zurückhalten kann. »Du bist nicht perfekt, weißt du? Ich bin sicher, dass du auch schon was Schlechtes getan hast. Ich bin sicher, dass du auch Schlechtes tust.« Sobald es heraus ist, habe ich allerdings das Gefühl, dass das nicht stimmt. Ich weiß es einfach irgendwie. Kent McFuller tut nichts Schlechtes. Zumindest tut

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